Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
witzigsten Sprüche gedrückt und mit einem Augenzwinkern uralte Klischees bedient. So verweigere ich während des Spiels meinem Kollegen aus Manchester die Ausführung eines Elfmeters, weil er das als Engländer ohnehin nicht gebacken kriegt. Ich knalle das Ding selbst zwischen zwei kleine Äste, die als Pfosten fungieren. Im Gegenzug darf ich mir anhören, dass ich als Deutscher nur rennen und mich stets auf das nötige Glück verlassen kann. Einig sind wir uns immerhin alle darüber, dass unser tricksender Brasilianer gar nicht erst versuchen soll, nach hinten zu arbeiten, denn für einen Samba-Kicker ist die Bezeichnung Defensive sowieso ein Fremdwort. Als der Holländer dann meint, über diesen Spruch lachen zu müssen, kriegt er auch noch einen übergebraten. Er kann vielleicht schön spielen, einen Titel holt er trotzdem niemals. So geht das die ganze Zeit. Nach wenigen Minuten sind wir schon ein wahres Team, in dem jeder mit jedem kommuniziert und, trotz all dem Spaß, gewinnen will. Ich fühle mich wie ein Fisch im Wasser.
Die einheimische Truppe hält mit enormem Kampfgeist und hohem Laufaufwand dagegen. Das sind alles kleine, wieselflinke Jungs, allerdings ohne allzu große technische oder taktische Fähigkeiten, dafür sichtbar besser gewöhnt an das Spiel auf Sand. Wir spielen, bis die Dämmerung hereinbricht und wir den Ball kaum noch sehen können. Wir gewinnen die Partie, das genaue Resultat weiß ich nicht. Völlig verschwitzt und fix und fertig stürzen wir uns zur Abkühlung ins Meer. Ist ja nicht weit, man muss nur über die Auslinie rennen. Für morgen verabreden wir eine Revanche zur selben Zeit. Dann trennen sich unsere Wege.
Auf dem Rückweg in mein Zimmer komme ich mir vor, als würde ich gerade vom Training nach Hause spazieren. Nur eben nicht die Säbener Straße, sondern das Strandufer entlang. Auch nicht frisch geduscht in Jeans und Pullover mit umgehängter Tasche, sondern oben ohne in Badehose und Flip-Flops mit kleinem Rucksack auf den Schultern. Einfach in viel entspannterer Atmosphäre, aber genauso ausgepumpt. Vor allem aber ziert mein Gesicht ein breites Lächeln.
Zusammengewürfelte Weltauswahl vs. inoffizielle Strandnationalmannschaft Bali.
In den vergangenen Monaten war es leider ganz selten der Fall, dass ich nach dem Training glücklich und zufrieden nach Hause ging. Schlimmer noch, an vielen Tagen war es eine reine Qual für mich. Und das, obwohl Fußball immer mein Leben gewesen war. Das, was ich liebte.
Doch irgendwann war es nur noch erbitterter Kampf. Ein Kampf um meinen Lebenstraum, den ich schon träumte, seit ich ein kleiner Junge war. Und den ich mir erfüllen wollte, komme, was wolle. Und jetzt kam ich nicht mehr davon los. Ich kämpfte also weiter, genauso verbissen wie verzweifelt, obwohl ich innerlich seit meiner Auswechslung gegen Offenbach wusste, dass ich diesen Kampf nicht mehr gewinnen konnte.
Eingestehen wollte ich mir das aber noch lange nicht. Ich versuchte also weiterhin alles im Training. Aber es gelang nichts. Je mehr ich wollte, desto weniger funktionierte. Ich konnte nicht mal mehr annähernd mein Potenzial ausschöpfen, machte die einfachsten Anfängerfehler und erkannte mich selbst nicht wieder. Manchmal befand ich mich sogar für einen kurzen Moment auf dem aufsteigenden Ast und trainierte einige Tage wirklich gut. Doch dann registrierte ich erneut, dass offenbar die Augen davor verschlossen wurden und ich trotzdem keine Chance erhalten würde. Und schon brach dieser Ast wieder ab, und ich fiel erneut zu Boden. Ich schaffte es einfach nicht, konstant meine Leistung zu bringen. Nicht einmal annähernd. Dass mir der Trainer sowieso nichts Gutes wollte, war klar. Allerdings hätte mich in der Phase wohl kein Trainer der Welt aufgestellt. Dafür war ich zu diesem Zeitpunkt zu schlecht. Und mental schon nicht mehr ganz auf der Höhe, auf der man sein muss, um Leistungssport betreiben zu können.
Erschwerend kam hinzu, dass ich mich in der Mannschaft von Unterhaching weitgehend unwohl fühlte. Der Großteil war zwar charakterlich in Ordnung, doch insgesamt waren nicht so viele Typen dabei, mit denen ich etwas anfangen konnte. Ganz anders als bei meinem letzten Bayern-Team. Vor allem aber hatte ich irgendwann überhaupt kein Standing mehr, ein entscheidender Faktor in jedem Mannschaftsgefüge. Ich war in der Hierarchie ganz unten angekommen. Das geht sehr schnell bei der permanenten Konkurrenzsituation. Zu Beginn spürte ich noch gehörigen Respekt.
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