Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
körperlichen Zustandes waren wissenschaftlich schlichtweg nicht zu erklären. Zwischenzeitlich machte ich mir ernsthafte Gedanken, ob ich an einer mysteriösen Krankheit leiden könnte. Das mag völlig absurd klingen, aber ich suchte händeringend nach einer plausiblen und rationalen Erklärung. Doch die gab es nicht. Davon abgesehen passte es aber irgendwie ins Bild. Denn ich dachte immer wieder unweigerlich an mein inneres Erlebnis auf der Bank nach dem Offenbach-Spiel.
In der kommenden Zeit saß ich ausnahmslos auf der Bank. Am schlimmsten waren dabei die langen Auswärtsfahrten. Ich wusste vorher schon, dass ich ohnehin keine Rolle spielen würde, opferte aber mein ganzes Wochenende dafür und verbrachte unzählige Stunden auf der Autobahn. Für nichts. Klar, das gehört zum Job dazu, und auch dafür wurde ich bezahlt. Dennoch war das vom Kopf her nicht einfach. Mitte April stand wieder so eine Partie an, wir spielten in Jena. Ich weiß noch, wie ich mich mal wieder in der zweiten Hälfte warm lief. Während ich meine Laufübungen fast schon vollautomatisch abspulte, hielt ich für einen Moment inne. Ich sah mich in dem Stadion um. Die Fans, die Tribüne, der Rasen, die Anzeigetafel, alles war mir vertraut. Lediglich etwas mehr als ein Jahr war es her gewesen, da hatte ich ebenfalls hier gestanden. Auf genau diesem Platz, als Kapitän. Mit glänzenden Perspektiven und schon ersten zaghaften Angeboten anderer Vereine. Und in dem Wissen, dass zahlreiche Scouts mich auf der Tribüne interessiert beobachteten. Genau auf dieser Tribüne hier, dort oben auf den ausklappbaren Plastiksitzen, saßen sie alle mit ihren Zetteln und Kugelschreibern. Jetzt saßen da auch welche, allerdings sicher nicht, um mich zu sehen. Und ich stand auch nicht auf dem Platz, sondern machte mich außerhalb, auf dem Grünstreifen neben dem Tor, warm. In Gesellschaft von Amateurspielern von Unterhaching, die später zur Krönung auch noch anstelle von mir eingewechselt wurden. In solchen Momenten habe ich mich oft gefragt, was ich hier eigentlich noch machte.
Das Boot hat den Steg schon verlassen. Paradoxerweise müssen wir das verdammte Ding trotzdem erwischen, obwohl wir damit aus dem Paradies geworfen werden. Also rufen wir so laut wir können. Doch das Schiffchen schippert ungerührt weiter, und ich befürchte schon das Schlimmste. Resigniert hören wir auf zu schreien. Genau in dem Moment macht der Kahn kehrt und dreht in weitem Bogen um. Kaum vorstellbar, dass in Deutschland ein Bus für verspätete Fahrgäste umdrehen würde, schließlich muss der Zeitplan eingehalten werden. Und selbst wenn, würden die übrigen Fahrgäste einen beim Einstieg vermutlich mit einem Blick bedenken, als hätte man gerade ein Kind entführt. Doch hier ticken die Uhren zum Glück ein wenig anders. Die übrigen Touristen lachen nur vergnügt und beginnen ein freundliches Gespräch, als ich mich in unserem Namen für die Unannehmlichkeit entschuldige. Leon und ich können gar nicht mehr aufhören, über Gili Air zu schwärmen und unsere abrupte Abreise zu bedauern. Wir sind völlig aufgekratzt, gleichzeitig aber auch heilfroh, dass wir doch noch das Boot erreicht haben.
Und es sollte sich lohnen. Die anschließende Zeit mit den beiden Spaniern und Ina ist ein Traum. Auch wenn wir uns kaum kennen, ist zu spüren, dass sich jeder pudelwohl fühlt. Es wird ein unvergesslicher Abend. Zunächst sitzen wir gemütlich am Strand, später draußen in einem nobleren Restaurant. Für Leon und mich ist es der letzte Abend auf den Gili Islands, und zur Feier des Tages gönnen wir uns alle ein wahres Festessen. Heute schaue ich zum ersten Mal nicht auf den Preis. Und esse wie ein Mähdrescher. Es bleibt nicht nur bei einem hoffnungslos überfüllten Teller. Über allem herrscht eine magische Atmosphäre. Dieses Stück Erde ist einfach atemberaubend und einer der schönsten Orte, die ich jemals gesehen habe. Die Farben am Himmel sind unglaublich intensiv. Später knipst der Himmel in der Dunkelheit seine unzähligen kleinen Lichter an. Ich habe noch nie einen so klaren Sternenhimmel bestaunen dürfen.
Doch irgendwann ist es Zeit, schlafen zu gehen. Leon, Ina und ich schlurfen in Zeitlupe die schwachbeleuchtete Hauptstraße entlang. Da fällt mir plötzlich ein Poster ins Auge, es hängt an der Außentür eines kleinen Kiosks. Die untere Hälfte zeigt eine Abbildung der drei Gili-Inseln. Den oberen Teil ziert doch tatsächlich ein Mannschaftsfoto des FC Liverpool. Fast
Weitere Kostenlose Bücher