Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
Mittagessen ein, quasi als Provision für seinen Fahrdienst. Danach ist es dann so weit, unsere Wege trennen sich, mein saarländischer Kollege fährt in eine andere Richtung weiter. Ob man sich überhaupt mal wiedersieht, ich weiß es nicht. Entscheidend ist, dass wir beide in den wenigen Tagen einfach eine geile Zeit hatten. Allein das zählt. Von daher wird es auch nicht sentimental, sondern vielmehr freundschaftlich, als wir uns zum Abschied kurz umarmen.
Zu meinem Erstaunen werde ich mich bereits wenige Augenblicke später mit einem Fahrer einig, der mich zum Hafen nach Lembar bringt. Ich habe eigentlich gar keine Ahnung, wann die Fähre ablegt, komme aber trotzdem exakt zur Abfahrt des rostigen Dampfers an und suche mir vergnügt ein nettes Plätzchen auf dem kaum besetzten Deck. Wenn’s läuft, dann läuft’s.
Selbst in meinem Seuchenjahr in Unterhaching hatte ich einen Tag, an dem einfach alles passte. Ich durfte, besser gesagt musste, im Laufe der Saison insgesamt vier Spiele für die zweite Mannschaft machen. Gegen Ende der Saison wurde ich ein letztes Mal sozusagen degradiert und trat die Busfahrt zum Auswärtsspiel nach Bayreuth an. Es war eigentlich ein erneuter Schlag ins Gesicht, aber das war in diesem Fall egal. Ich hatte genau an diesem Tag gravierende private Probleme und war mit dem Kopf daher ganz woanders. Ich sah das Spiel als völlige Nebensache an, war aber gleichzeitig froh um jede Ablenkung, die ich bekommen konnte. Und so ging ich auch auf den Platz. Ich war zwar nicht unkonzentriert, dafür aber nicht so immens fokussiert und versteift auf mein Ziel wie sonst. Ich will nicht sagen, dass es mich nicht interessierte, was auf dem Rasen geschah, das ginge zu weit. Doch das Spiel war an diesem Tag nicht der Nabel der Welt für mich. Das hatte zur Folge, dass ich für meine Verhältnisse extrem locker war, als der Anpfiff des Schiedsrichters ertönte. Auf gut Deutsch gesagt, ich legte eine gesunde Leck-mich-am-Arsch-Mentalität an den Tag. Ich wollte einfach nur spielen, alles andere war zweitrangig.
Und wie ich spielte. Gut, man darf nicht vergessen, dass es ein Bayernligaspiel war, das heißt nur die fünfthöchste Spielklasse. Selbstredend ist das Niveau dort ein wenig niedriger. Dazu kommt, dass wir mit einer Vier-zu-eins-Niederlage relativ deutlich nach Hause geschickt wurden. Aber so blöd das klingen mag, gerade als Defensivspieler: Mich traf an der Niederlage sicherlich die geringste Schuld. Ich spielte mich fast schon in einen Rausch. Nach Jahren durfte ich mal wieder auf meiner früheren Position, meiner alten Liebe, im zentralen Mittelfeld, spielen. Und ich hatte wahnsinnigen Spaß daran. Ich forderte und bekam extrem viele Bälle, zog immer wieder unser Spiel mit gelungenen Pässen von hinten auf und gewann gleichzeitig so gut wie jeden Zweikampf. Dazu erzielte ich vorne auch noch unseren einzigen Treffer, was schon allein für sich einer Sensation gleichkam, da ich für gemeinhin vor dem gegnerischen Tor in etwa so gefährlich war wie Asterix ohne Zaubertrank. Schon in der Halbzeitpause sprach der Trainer ein wenig pathetisch von einem Geschenk Gottes, dass ich heute mitspielte. So weit würde ich natürlich nicht gehen, aber ich war tatsächlich endlich mal wieder in meinem Element. Auf dem Platz, mit dem Ball am Fuß. Selbst wenn der Gegner und die Mitspieler nicht die Klasse hatten, die ich gewohnt war, blieb mir aus diesem Spiel die Erkenntnis, dass ich es doch noch draufhatte. Und auch wenn die Öffentlichkeit davon kaum Notiz nahm, ich hatte es mir selbst bewiesen, und das war ein großartiges Gefühl.
So schön und wichtig diese Erfahrung auch war, ein Effekt für die erste Mannschaft blieb dennoch aus. Kaum trainierte ich am nächsten Tag wieder bei meinem eigentlichen Team mit, war alles wie weggeblasen. Ich schaffte es einfach nicht, den Schalter umzulegen und den Rückenwind aus dem Bayreuth-Spiel mit in das alltägliche Training zu nehmen. Wie von Zauberhand war ich wieder seltsam langsam und unbeweglich in meinen Bewegungen. Ergriffen von einer bleiernen Steifheit in meinem Körper, die einfach nicht verschwinden wollte. Da war plötzlich nichts mehr übrig von dem agilen und aufgeweckten jungen Mann vom Vortag. Meine Handlungsschnelligkeit kam der eines Koalabären bedrohlich nahe. Ich nahm das alles erschrocken zur Kenntnis, so als würde ich mich bei meinen Aktionen fassungslos selbst von der Seitenlinie aus betrachten. Doch ich war nicht mehr in der Lage, etwas
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