Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
schon schlaftrunken grabe ich meine Kamera aus der Hosentasche und knipse ein Foto. Ich fasse es nicht, mitten auf Gili Island ein Poster der «Reds», meiner absoluten Lieblingsmannschaft. Der FC Bayern wird immer auf gewisse Art mein Verein bleiben, allein schon weil ich mit ihm einen großen Teil meines Lebens verbinde. Doch glühender Fan, das bin ich vom FC Liverpool.
Ich war fünfzehn Jahre alt, als ich mit der Jugendnationalmannschaft zu einem Turnier nach England flog. Das Teilnehmerfeld setzte sich aus dem Gastgeber, den Niederlanden, Spanien und uns zusammen. Die Spiele wurden live im englischen Fernsehen übertragen, die Stadien waren gut gefüllt und die typisch britische Fußballatmosphäre überragend. Es war ein großartiges Erlebnis in so jungen Jahren für mich. Im ersten Prestigeduell gegen unseren Nachbarn aus Holland konnten wir uns verdient durchsetzen. Als zentraler Mann vor unserer Abwehr traf ich im Mittelfeld zwangsläufig auf den Spielmacher der Oranjes. Dieser schmächtige Knirps war damals sogar einen halben Kopf kleiner als ich, und das wollte was heißen. Doch auch wenn er seinem Team an diesem Tag nicht allzu viele Impulse verleihen konnte, war sein herausragendes Talent schon damals klar ersichtlich. Sein Name war Ibrahim Afellay. Heute spielt er bei der momentan besten Mannschaft der Welt, dem FC Barcelona. Und misst im Übrigen respektable 1 Meter 80.
Nach den neunzig Minuten gegen Spanien im zweiten Spiel verließen wir den Platz mit einem Unentschieden. Auch wenn wir hinten relativ sicher standen und nicht allzu viel zuließen, war das Ergebnis ein wenig schmeichelhaft, da wir gegen diese Kombinationskünstler kaum einen Ball sahen. Schon damals in der Jugend zogen diese kleinen, quirligen Jungs das heute so gefürchtete Kurzpassspektakel auf. Ihr Spielgestalter, mit dem ich das Vergnügen hatte, war José Manuel Jurado, der heute in der Bundesliga für Schalke 04 kickt. Auf links wirbelte David Silva, heute Nationalspieler und Weltmeister.
Die letzte unserer drei Partien bestritten wir gegen die Engländer in Leicester. Aufgrund der anderen Ergebnisse war die Ausgangslage klar. Bezwingen wir die Jungs, sind wir Turniersieger. England gegen Deutschland. Für mich die Mutter aller Spiele. Mehr Fußball geht eigentlich gar nicht. Wir waren zwar nur Jugendteams, aber die jahrzehntelange Rivalität zwischen beiden Ländern spiegelte sich auch in diesem Spiel wider. Schon in der Anfangsphase musste ein Mitspieler mit Platzwunde am Kopf ausgewechselt werden, nachdem er nach einem Zweikampf ungebremst in eine Werbebande gekracht war. Die Engländer waren hingegen gezwungen, den Torwart auszutauschen, weil sich der Stammkeeper bei einem Rendezvous mit dem Knie unseres Stürmers den Kiefer brach. Doch die Fouls waren beide eher unabsichtlich. Es war ein sehr hartes, intensives Spiel, das an die Grenzen ging, aber dennoch nicht unfair war. Ich spielte auf meiner gewohnten Position im defensiven Mittelfeld über die volle Distanz. Wir gewannen am Ende denkbar knapp und waren damit Turniersieger. Wir freuten uns diebisch über diesen Erfolg, ausgerechnet auf englischem Boden. In der Kabine fand spontan eine kleine Party statt, und wir grölten freudetrunken durch die Katakomben des gesamten Stadions. Nachdem endlich alle fertig geduscht waren, gingen wir vergnügt die Treppen nach oben in den VIP-Raum der Arena, wo wir vor der Abfahrt ins Hotel noch einen Happen essen wollten.
Als ich mit meinen Jungs durch die Tür zum Essenssaal ging, sah ich, dass fast der gesamte Raum besetzt war. Alle Spieler und Betreuer der Engländer saßen an den Tischen, dazu ihre Familien und Freunde. Der Frust über die schmerzhafte Niederlage war ihnen ins Gesicht geschrieben. Plötzlich wurden wir alle ganz still und hörten auf zu lachen und zu feixen. Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt, und ich rechnete mit verwerflichen Blicken der Engländer oder sonstigen Unmutsbekundungen. Doch dann geschah etwas, das ich wohl nie vergessen werde. Nach ein paar Sekunden gruseliger Stille fing ein englischer Spieler an zu klatschen. Erst einer, dann alle. Der ganze Saal erhob sich geschlossen und wie selbstverständlich von seinen Sitzen und applaudierte respektvoll in unsere Richtung. Das war ihre Art, uns zu unserem Sieg zu beglückwünschen. Wahres Fairplay. Spätestens von diesem Tag an hatte ich ein Faible für englischen Fußball.
Damals schon wurden Ausschnitte von Spielen der Premier League im Deutschen
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