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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kuhn Kuhn
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eingesetzt, das Laub von den Bäumen geholt und die Böden in Schlamm verwandelt.
    Sie marschieren los. Hans leuchtet mit der Taschenlampe. Der Hang ist zu steil, als dass sie viel zum Reden kommen. Noldi, nicht so geländegängig wie der Jäger, kämpft und schnauft, verwünscht die Nässe, den glitschigen Boden unter den Füßen.
    »Du hast hoffentlich nichts angefasst«, stösst er zwischen zwei Atemzügen hervor, als sie einen Moment innehalten.
    »Nein«, sagt Hablützel, »natürlich nicht. Nur kurz mit dem Fuss gestoßen. Da rührt sich nichts. Ich glaube, Noldi, wir haben eine Leiche am Hals.«
    »Und Bayj?«
    »Ist angeleint.«
    Dann kriechen sie weiter bergauf.
    »Da«, sagt sein Schwager endlich, »da sitzt Bayj. Und dort vorne ist es.«
    Er deutet und leuchtet mit der Lampe.
    Noldi sieht das dünne Gewebe im Gestrüpp. Ihm wird kalt.
    »Du, das schaut wie ein Nachthemd aus.«
    »Ein Negligé«, bestätigt Hans. »Betti hat auch so eines.«
    Nur widerwillig schiebt Noldi sich näher heran. Hans hält sich dicht hinter ihm und leuchtet. Die Leiche liegt mit dem Kopf nach unten tief in den Brombeeren. Sie sehen nur ein Stück des Rückens und das hochgereckte Gesäß in einer zerrissenen Spitzenunterhose.
    Noldi schnappt nach Luft. Dem breiten Becken nach zu schließen, handelt es sich um eine Frau.
    Auf die Distanz können sie keine Verletzungen erkennen.
    Noldis Karriere als Polizist war bis jetzt nicht von Leichen gesäumt. Klar hatte er immer wieder mit Toten zu tun. Er legte Hand an, sie aus den Wracks ihrer Autos zu befreien, Motorradfahrer, die ihre Fähigkeiten überschätzen, von Bäumen zu kratzen und Selbstmörder vom Strick zu schneiden. Es gab auch echte Kriminalfälle, Brandstiftung zum Beispiel. Damals hatte er sich mit Erfolg unter den Feuerwehrleuten nach dem Täter umgesehen. Es gab auch Tote, wenn sie einander im Suff die Schädel einschlugen. Da konnte er den Schuldigen meist neben dem Opfer verhaften. Aber eine weibliche Leiche im Wald in dieser obszönen Pose, das ist eine Nummer zu groß für ihn. Hablützel geht es ähnlich. Beide sind sie gestandene Männer, verheiratet, aber ohne viel Erfahrung mit anderen als den eigenen Frauen. So befällt sie jetzt eine jungenhafte Scheu, als sähen sie etwas, das nicht für sie bestimmt ist.
    Ohne sich mit einem Wort darüber zu verständigen, gehen sie rückwärts Schritt um Schritt zu Bayj, der hoch aufgerichtet unter dem Baum sitzt und mit gespitzten Ohren das Geschehen verfolgt.
    Zum Glück ist Noldi ein gesunder Pragmatiker. Statt der Beklommenheit nachzugeben, zückt er sein Handy und meldet der Kantonspolizei in Winterthur den Leichenfund.
    Fast flüsternd fragt Hans: »Ist es wirklich eine Frau oder so ein Spinner, der in Damenwäsche herumirrt?«
    Das hat sich Noldi im Stillen auch schon gefragt.
    »Ich weiß nicht«, sagt er.
    »Ich glaube«, meint Hablützel nach einer Weile, »dass es doch eine Frau ist.«
    »Ja, wahrscheinlich«, antwortet Noldi einsilbig.
    »Meinst du, sie ist vergewaltigt worden?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht war sie auch nur verwirrt und ist hier gelandet.«
    Noldi weiß, wie unwahrscheinlich das ist, aber ihm wäre jede andere Lösung lieber als ein Sexualmord in seinem Bezirk. Tatsächlich ist es schon vorgekommen, dass Leute in geistiger Umnachtung von zu Hause weggelaufen sind und nicht mehr zurückfanden. Das waren aber meist Ältere. Und außerdem wüsste er es als Kantonspolizist, wäre jemand in der Gemeinde als vermisst gemeldet.
    Sie schweigen und brüten vor sich hin.
    Noldi denkt, wie wird das alles weitergehen?
    Hans erinnert sich, dass er auf der Suche nach etwas ganz anderem war. Und auch der Hund denkt an die Witterung, die er aufgenommen hat, bevor er sich durch diesen fremden Geruch von der Fährte abbringen ließ. Das hat er davon, jetzt sitzt er da, angebunden, und sein Herr rührt sich nicht vom Fleck.
    Der sagt endlich: »Da oben gibt es eine Forststraße. Vielleicht ist sie von dort heruntergestürzt.«
    »Ja«, stimmt Noldi ihm zu. »Aber kaum von allein.«
    Dann schweigen sie wieder.
    Plötzlich hören sie auf der Straße unten ein Hupen.
    »Du«, sagt Noldi, »die sind schon da. Die müssen geflogen sein. Ich gehe. Sie haben gesagt, ich soll sie einweisen.«
    Damit rutscht er den Abhang hinunter.
    Als er die Straße erreicht, ist zu seiner Verblüffung nicht die Polizei eingetroffen, sondern ein weiterer Personenwagen, in dem einer sitzt. Noldi geht zur Fahrertür und klopft ans

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