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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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rote Ampelmännchen in ein grünes verwandelt, denke ich an Adam. An die arme Seline. An meinen Traum. An die Geschichte. An alles auf einmal, ebenfalls, um Zeit zu sparen.
    Ich gehe in eine Kaffeebar. Ich brauche etwas Warmes.
    »Einen Kaffee, bitte«, bestelle ich bei dem Jungen hinterm Tresen.
    Er sieht mich an. Er hat große, haselnussbraune Augen und scheint sich zu freuen, mich bedienen zu dürfen. Ich schenke ihm ein verhaltenes Lächeln. Er trägt eine Schürze, die ihm nicht passt, macht sich aber sofort an die Arbeit. Nur einen Augenblick später reicht er mir meinen Kaffee.
    »Er ist heiß.«
    Vorsichtig nehme ich den Coffee-to-go-Becher und streife seine warme Hand mit meinen Fingern, eiskalten Fingern.
    Ich bezahle.
    »Einen schönen Tag«, wünscht er mir.
    »Danke.«
    Ich gehe hinaus und weiß seinen Blick im Rücken, auf meinen engen Jeans, den braunen Stiefeln, den Spitzen meiner Absätze.
    Ich weiß, dass du mir nachsiehst, denke ich und lasse ihn gewähren. Ich mag es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.
    Beim Ausgang der Bar liegt ein Stapel Gratiszeitungen. Ich bleibe stehen, um sie durchzublättern, während das Ampelmännchen wieder rot wird. In riesigen dicken Lettern prangt die Schlagzeile der »City News« auf der Titelseite. Darunter ein Foto.
    Ein Werbeplakat mit einer Achterbahn.
    GROßE ERÖFFNUNG AM 19 . FEBRUAR .
    Ich kenne dieses Plakat.
    Ich kenne es gut.
    Ich schnappe mir die Zeitung.
    »Junger Werbefachmann barbarisch gekreuzigt.«
    Der Pappbecher mit dem Kaffee wird auf einmal zu heiß und zu schwer. Er rutscht mir aus der Hand, und sein Inhalt ergießt sich auf den Boden, um meine Stiefel herum.
    »Oh, mein Gott!«

[home]
    Kapitel 7
    I n der Schule rauscht alles an mir vorbei, ohne dass ich irgendetwas aufnehme. Ich fahre als hilflose Zuschauerin in einem Schnellzug durch unbekanntes Gebiet, das ich nicht mal genau sehen kann.
    Wenn ich in die Klasse komme, rede ich nie viel, nicht mal mit meinen Freundinnen, die meine Bank umringen wie die Latten eines Zauns. Ich fühle mich wie im Gefängnis, in der Gewalt eines Willens, den ich nicht lenken kann.
    Meine Gedanken, meine Träume gehören mir nicht mehr.
    Ich bin sie.
    Absolut seltsam, was da mit mir vorgeht: Und alles, was um mich herum passiert, bedeutet nichts. Die einzige Kraft, die mich antreibt, befindet sich in meinem Kopf und sitzt dort fest, gestrandet in den Untiefen meines Gedächtnisses.
    »Alma!«
    Es ist Naomi, die einzige Person, die selbstsicher genug ist, um mich weder als Rivalin zu sehen noch wie eine Göttin zu verehren. Eine gewisse Zeitlang habe ich diese Art von Ergebenheit gewollt und gesucht, bis ich kapiert habe, dass sie mir nichts bringt. Ich will Menschen um mich haben, auf die ich mich verlassen kann. Ich will keinen blinden Glauben, sondern Vertrauen.
    »Hallo.«
    Ich merke, dass ich Lichtjahre weit weg bin.
    »Alles in Ordnung? Sieht nicht so aus, als hättest du viel geschlafen.«
    »Hab ich auch nicht.«
    »Denkst du an Adam?«
    »Schon.«
    Ich verliere kein Wort über die Zeitung. Kein Wort über die Geschichte.
    »Ich auch. Den anderen beiden geht’s genauso.«
    Seline traut sich nicht, uns anzusehen. Ihr Gesicht ist so gerötet und verquollen, als hätte sie ununterbrochen geweint.
    »Habt ihr Neuigkeiten?«
    »Er ist zur Schule gekommen.«
    »Gut«, sage ich.
    Seline schüttelt den Kopf. »Er ist voller Pflaster und Verbände.«
    Ich sehe sie streng an.
    »Wir sind zu weit gegangen«, schluchzt Seline. »Wir sind wirklich zu weit gegangen.«
    »Pst! Hör auf damit!«
    »Seline hat recht«, fährt Naomi fort. »Ich kann auch nicht vergessen, wie …«
    »Wir müssen überhaupt nichts vergessen«, mischt sich Agatha mit ihrer tiefen, monotonen Stimme ein. Es hört sich an, als würde sie im Rhythmus eines alten Metronoms sprechen. »Adam hat gekriegt, was er verdient hat. Ende der Diskussion.«
    Naomi schaut mich prüfend an, um festzustellen, ob ich damit einverstanden bin. Ich hätte so einiges dazu zu sagen. Aber ich bin heute nicht in der Stimmung für Auseinandersetzungen.
    »Ende der Diskussion«, antworte ich.
    Agatha schweigt. Sie geht und setzt sich auf ihren Platz. Naomi sieht mich irritiert an.
    »Das war absolut furchtbar«, flüstert sie.
    Ich zucke die Achseln.
    »Sie hätte ihn blind machen können. Sie ist zurzeit total reizbar. Anscheinend geht es ihrer Tante nicht gut.«
    Ich blicke auf. »Davon hat sie mir nichts gesagt.«
    »Mir auch nicht, aber … sie wird

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