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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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waren.
    Am Nachmittag wird die Polizei erneut die Zeugenaussage des Portiers hören sowie Arbeitskollegen und Angehörige des Opfers befragen. Die Lebensgefährtin von Alek M., das bekannte Model Shel V., hüllt sich in Schweigen und hat bisher keine Erklärung abgegeben. Alek M. wird als ein »fröhlicher« Mensch beschrieben, der bei allen beliebt war. Man erhofft sich weiterführende Erkenntnisse von den Ergebnissen der Autopsie und der Spurensicherung.
    Mein Gott, denke ich.
    Es ist derselbe Name. Alek.
    Es ist derselbe Ort. Und auch die Beschreibung dessen, was geschehen ist: Auch in meiner Geschichte bleibt Alek allein in der Agentur, um noch zu arbeiten. Als er das Büro verlässt, fühlt er sich verfolgt. Der Aufzug – der zweite Aufzug setzt sich gleich nach seinem in Bewegung.
    Meine Erzählung ist erschreckend präzise: Ich habe das Werbeplakat beschrieben. Das Plakat, an dem er … gekreuzigt wurde.
    Das kann einfach nicht sein.
    Das kann ich nicht glauben.
    Ich starre auf die Worte in meiner Geschichte, auf den Zeitungsbericht, schaue von einem zum anderen. Dann lege ich Heft und Zeitung weg, stopfe sie wieder an ihren Platz und gehe ins Bad.
    Ich ziehe mich aus, so langsam, als würde ich ein Ritual vollführen, und schlüpfe unter die Dusche. Ich starre eine Ewigkeit auf den Temperaturregler, ehe ich das Wasser aufdrehe. Ich habe ein seltsames Verhältnis zum Wasser. Ich liebe es, wenn es fließt, und hasse es, wenn es steht. Ich würde nie ein Bad nehmen. Ich bin noch nie in irgendein Gewässer eingetaucht.
    Ich kann nicht schwimmen.
    Dabei wiederholt mein Kopf die immer gleiche Frage: Wie konnte ich diese Geschichte geschrieben haben?
     
    Das Abendessen verläuft wie tausend andere: Evan schweigt und ist mit sich beschäftigt, Lina spricht nicht und hört aufmerksam den anderen zu. Gad erzählt von seiner Tochter Tea, die anscheinend auf der Arbeit beim Klauen erwischt wurde. Er jammert, dass er nicht mehr weiß, wie er mit ihr fertig werden soll, und Jenna wirft ihm seine Schwäche vor und schüttelt den Kopf.
    »Jetzt kommst du nicht mehr an sie heran, Gad.«
    »Aber sie ist doch meine Tochter! Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«
    »Nichts Besonderes. Aber gib ihr keinen Cent mehr. Niemand hat ihr aufgetragen zu stehlen!«
    Meine Mutter ist offensichtlich gereizt. Sie hat eine Menge Schwächen, aber bei manchen Dingen macht sie keine Kompromisse. Sie arbeitet Tag und Nacht, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, und kann Unehrlichkeit nicht ertragen.
    Gad schnaubt, die Peperoni und die Debatte machen ihm zu schaffen. »Sicher, natürlich, du hast recht. Ich habe viel falsch gemacht, und sie hat viel falsch gemacht, aber du weißt ja, sie muss den Kredit abbezahlen und Michi …«
    »Lass bloß Michi aus dem Spiel!«, platzt Jenna heraus.
    »Aber …«
    »Wenn deine Tochter sich mit einem Taugenichts zusammentut, ist das ihre Entscheidung. Genauso, wie Geld im Büro zu unterschlagen. Was wollte sie denn damit machen? In den Urlaub fahren?«
    »Sie hat sich entschuldigt und hofft, dass ihr Chef die Anzeige zurückzieht.«
    »Und das glaubst du?«
    »Ich hoffe es. Sie muss lediglich den gestohlenen Betrag zurückzahlen.«
    »Und woher will sie das Geld dafür nehmen?«
    »Ich kann es ihr leider nicht geben.«
    »Na, zum Glück! Sonst würdest du das tatsächlich machen, und es würde enden, wie es immer endet: Du hilfst ihr aus der Patsche.«
    Der arme Gad. Er tut mir beinahe leid. Er ist einfach zu gutmütig und nett und schafft es nicht, seiner Tochter die Stirn zu bieten. Tea ist ein paar Jahre älter als ich, aber wir sind keine Freundinnen. Wir sind uns ein paarmal flüchtig begegnet, und ich könnte nicht mal sagen, ob sie blond oder brünett ist. Ich glaube, sie hasst uns, weil wir zusätzliche Mäuler sind, die mit der ohnehin schon armseligen Brieftasche ihres Vaters gestopft werden müssen. Vor allem aber hasst sie meine Wenigkeit, weil ich ihr gesteckt habe, dass ihr Freund Michi sich auf Gads Geburtstagsfeier an mich rangemacht hat. Sie ließ mich wissen, dass ich bloß eine kleine Lügnerin sei, und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.
    Im Laufe der Unterhaltung begegne ich mehrmals Linas Blick. Ich habe den Eindruck, dass sie weiß, was mit mir los ist, und mir zu helfen versucht. Doch an diesem Tisch gibt es heute Abend schon zu viele Sorgen, und so zieht Lina es vor, den Blick zu senken und auf ihren halbvollen Teller zu starren.
    Sie bewegt kaum merklich die

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