Nacht
Interessen. Das eigene Revier muss erobert werden. Wie im Dschungel.
An diesem Ort werden wir Adam heute Abend treffen. Nur ein Spinner wie er, der nichts mit den Gangs zu tun hat und ihnen gegenüber eher eine Art Überlegenheit zur Schau trägt, bringt es fertig, nach Sonnenuntergang in dieses Niemandsland einzudringen. In einer solchen Umgebung macht man wegen ein bisschen Gewalt kein großes Aufheben. Nicht einmal die Polizei, die inzwischen an Schlägereien und Zusammenstöße dort gewöhnt ist. Oft sind es sogar die Polizisten selbst, die so was provozieren. Der perfekte Ort für einen Hinterhalt.
Die Mädels und ich treffen uns unten an der Treppe, dunkel gekleidet, die Kapuzen über den Kopf gezogen. Wir trinken Bier und rauchen, um nicht zu sehr aufzufallen.
»Still jetzt und nicht nervös werden«, sage ich. »Jede weiß, was sie zu tun hat.«
Unter den Kapuzen spiegeln die Augen von Naomi, Seline und Agatha das Licht der Straßenlaternen vom Uferweg.
Wir haben alles sorgfältig geplant: wo es stattfinden wird, wer ihm den Weg versperren und wer ihm das Pfefferspray in die Augen sprühen soll. Es darf keine Pannen geben. Wir wollen ihn nur demütigen, den Dreckskerl, mindestens so sehr, wie er Seline gedemütigt hat. Wir wollen nur, dass er begreift, wie das ist.
Wir warten in der Dunkelheit, hinter der Ecke eines alten Lagerschuppens. Es riecht nach Schimmel und Mäusedreck. Die Sonne ist schon seit einer Weile untergegangen. Die Minuten schleichen dahin. Die Zeit wird von unseren Atemzügen gemessen. Wir müssen ruhig bleiben, sage ich mir immer wieder.
Nach zehn Minuten fange ich an zu glauben, dass Adam nicht kommen wird.
Wir sehen uns an und überlegen, was zu tun ist. Ich bedeute den anderen, noch ein wenig Geduld zu haben. Wir können jetzt nicht aufgeben. Ich beuge mich vor, um über den Damm zu spähen. Das Wasser ist schwarz und ölig. Ich beobachte das Hin und Her der Skater. Kapuzenbedeckte Gestalten sausen vorbei, mit geballten Fäusten in den Taschen ihrer Trainingshosen. Und dann sehe ich ihn. Adam. Er kommt auf uns zu. Er humpelt und hält sich mit einer Hand den Kopf.
Ich gebe den anderen ein Zeichen. Wir warten noch.
Sobald er sich dem Licht einer Straßenlampe nähert, bemerke ich, dass sein T-Shirt blutverschmiert ist. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber so, wie er sich bewegt, bin ich sicher, dass ihn jemand verprügelt hat. Und dieser Jemand scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Keine Frage, er hat uns die Mühe erspart.
Ich taste in meiner Jackentasche nach Linas Glöckchen. Ein Schauer überläuft mich, und einen Moment lang bin ich drauf und dran, alles abzublasen. Doch dann schiebe ich alle Skrupel beiseite: Adam muss bezahlen.
Ich gebe den Mädels das Signal. Seline und Naomi nicken, sehen aber ängstlich aus. Agatha dagegen ist anscheinend ganz ruhig. Wir müssen das jetzt durchziehen. Ein Rückzug wäre feige.
Schnell und unerbittlich verlassen wir unsere Deckung. Adam ist noch etwa zwanzig Meter entfernt und schwankt wie ein Boot im Sturm. In Sekundenschnelle sind wir bei ihm. Ich baue mich vor ihm auf, um ihm den Weg zu versperren. Er sieht meine Beine und hebt mühsam den Kopf. Erkennt mich. Ich taxiere ihn: Ein Auge ist blau und blutunterlaufen. Die Nase scheint gebrochen zu sein, und die Oberlippe ist total geschwollen. Seine hellen Haare sind mit geronnenem Blut verkrustet und stehen in alle Richtungen ab, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Fäuste haben sein hübsches Gesicht ausgelöscht wie ein Lappen, der über ein noch feuchtes Gemälde wischt.
»Was für ein abstoßender Anblick!«
Ich bin die Erste, die etwas sagt.
»Waf wilft du?«
Er spuckt Speichel, Blut und Zahnsplitter aus und deutet mit dem Finger auf mich. Im Licht der Straßenlaterne sieht es so aus, als würde das Feuer aus dem Maul des eingravierten Drachen auf Adams Silberring zu lodern beginnen. Er denkt offenbar, dass wir die geschickt haben, die ihn verdroschen haben. Da irrt er sich, aber ich lasse ihn in dem Glauben.
»Das weißt du genau.«
Jetzt tritt Seline nach vorn, taucht direkt hinter mir auf. Sie hat das Spray.
Auch Naomi und Agatha kommen näher, Agatha lautlos wie immer.
»Was hast du Seline angetan, du Scheißkerl?«, schreit Naomi, reißt Seline das Spray aus der Hand und hält es Adam unter die Nase. »Siehst du das hier? Willst du ein bisschen davon?«
Adam bekommt es offenbar mit der Angst zu tun. Sein gesundes Auge ist weit
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