Nacht
Nachhausekommen empfängt mich dieser typische Geruch.
Ich würde ihn unter Tausenden wiedererkennen: Frittenbude Gustibus. Ein Geruch, den Gad um sich herum geschaffen hat wie eine Barriere, die ihn von der Außenwelt abschottet.
»Guten Abend, meine Liebe.«
Ich gehe ins Wohnzimmer und sehe ihn in einem der beiden gelbgestreiften Sessel sitzen, auf die meine Mutter so stolz ist. Französischer Polsterstoff, sagt sie immer. Sessel, die mein Vater ihr zu kaufen erlaubt hatte. Doch jetzt sitzt Gad da. Sein Ton ist gewohnt freundlich, aber dennoch kann ich sein fettbespritztes Hemd nicht übersehen, das derart über seinem dicken, runden Bauch spannt, dass mir der Gedanke kommt, er könnte innerlich explodiert sein.
»Hallo, Gad.«
Ich antworte mit einem zerstreuten Gruß. Die Erwachsenen behaupten immer, die Jugendlichen würden in ihrer eigenen Welt leben. Diese These kann ich ohne weiteres bestätigen.
»Wie ist es in der Schule gelaufen?«
Solche höfliche Konversation bin ich nicht mehr gewohnt seit mein Vater das Interesse an mir verlor. Alles in Ordnung, Liebes? Klar, und bei dir? Wie war die Klassenarbeit? Oh, gut, danke. Gad dagegen scheint noch daran zu glauben.
Also antworte ich ihm.
»Gut, danke.«
Die Küchenuhr beginnt zu zwitschern. Das ist eine von Jennas Anschaffungen, die ihr gute Laune machen. Zu jeder vollen Stunde zwitschert eine andere Vogelstimme. Sieben Uhr ist die Stunde des Beos.
Ich gehe durchs Wohnzimmer. Jenna steht in der Küche und ist kaum mehr als ein Automat, der methodisch die Handgriffe für ihr Standardgericht ausführt: Fleischragout in Rotweinsoße. Sie hat ihre geblümte Cocktailschürze um und bewegt sich geschickt hin und her, den ganzen Raum vor dem Herd in Beschlag nehmend. Doch ihre Augen sind glanzlos. Und offensichtlich ist sie mit den Gedanken ganz woanders. Reist in weiter Ferne herum. Ich weiß nicht, ob ich sie bewundern oder bedauern soll. Im Zweifelsfall begrüße ich sie.
»Hallo, Jenna.«
»Hallo«, wacht sie auf. »Ich habe dich gar nicht kommen hören.«
»Was soll’s, ich bin ja sowieso kaum zu Hause. Ich gehe noch eben duschen vorm Essen.«
Keine Antwort.
Das schrille Geplapper eines Fernsehquiz erfüllt die Wohnung. Für einen Moment fühle ich mich geborgen in diesem Pseudo-Familienleben. Ich frage mich, ob es weniger pseudo wäre, wenn ich wenigstens ein bisschen daran glauben würde. Aber ich habe ganz andere Fragen zu klären. Ich gehe auf mein Zimmer und wühle im Kleiderschrank. Mit den Fingern ertaste ich die Wolle von Mützen, das Synthetikfell meines Plüschaffen, das Metall meiner Rollerblades, und schließlich das violette Leder des Heftumschlags. Es ist hier, in Sicherheit. Ich setze mich vor den Schrank, hole die »City News« vom Morgen aus der Tasche und lege sie zum Vergleich neben das Heft.
Junger Werbefachmann barbarisch gekreuzigt
Die Leiche von Alek M., 32 , wurde heute am frühen Morgen auf dem Parkplatz der Werbeagentur, in der er arbeitete, aufgefunden. Der junge Mann, der sich in der Werbebranche als Urheber mehrerer erfolgreicher Kampagnen einen Namen gemacht hatte, wurde auf barbarische Weise an ein Werbeplakat genagelt, das er selbst zur Wiedereröffnung des alten Vergnügungsparks der Stadt entworfen hatte. Inwieweit es sich dabei um einen Zufall handelt oder um ein gezieltes Vorgehen des Mörders, muss im Laufe der polizeilichen Ermittlungen geklärt werden. Der Pförtner des Bürohauses, der das Opfer gefunden hat, beschreibt den Anblick als »schockierend und ungeheuer brutal«. Die zum Tatort gerufene Polizeistreife hat sich sofort um die Bergung der Leiche bemüht, eine langwierige und komplizierte Prozedur, für die auch die Feuerwehr hinzugerufen werden musste. Die Feuerwehrleute mussten mit einer Leiter zu dem Opfer hinaufsteigen und die vier Nägel aus seinen Händen und Füßen herausziehen. Einer ersten Rekonstruktion des Tathergangs zufolge hatte Alek M. bis spät in die Nacht im Büro gearbeitet. Die Polizeibeamten fanden seine Autoschlüssel im Schloss der Fahrertür seines weißen Cabrios steckend, außerdem eine heruntergefallene blaue Mappe auf dem Asphalt des Parkplatzes. Sie enthielt Unterlagen für die neue Kampagne, an denen der Werber gerade arbeitete. Rätselhaft erscheint, wie es möglich war, die Leiche bis zu der Werbetafel hinaufzuhieven, in eine Höhe von mehr als drei Metern über dem Boden. Die Ermittler schließen deshalb nicht aus, dass mehrere Täter an dem Mord beteiligt
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