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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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dem Tischchen mit dem Telefon und suche eine Taxinummer heraus.
    Flüsternd gebe ich meine Adresse an.
    In zwei Minuten soll ein Wagen hier sein.
    Sehr gut.
    Ich suche die Schlüssel, werfe noch einen Blick in den Flur und bedeute dem Schatten, der Lina sein könnte, ins Zimmer zurückzukehren. Langsam öffne ich die Tür, schlüpfe hinaus und mache sie genauso langsam wieder zu.
    Zwei Minuten.
    Der Taxifahrer ist ein Asiat mit ovalem, ausdruckslosem Gesicht. Er fährt wie eine übermüdete Schnecke und redet, als hätte er ein Radio verschluckt.
    Ich antworte ihm einsilbig, auch weil ich nur etwa ein Drittel von dem, was er sagt, kapiere.
    »Zur Kirche in der Altstadt.«
    Er fragt mich etwas, das ich nicht verstehe. Ich lasse mich tiefer in den Rücksitz sinken und fange an, nervös auf einem Fingernagel zu kauen.
    Was ist Naomi zugestoßen?
    Bald werde ich die Antwort wissen, und ich fürchte, sie wird mir nicht gefallen.
    Von Osten her färbt sich der Himmel langsam heller, der frühmorgendliche Verkehr beginnt, sich in die Straßen zu ergießen. Wir fahren am Fußballstadion vorbei, einem riesigen, ovalen Topf. Nutzlos ohne den bunten Eintopf der Fans.
    Direkt vor uns liegt die Flughafenbrücke. Unter den dicken Drahtseilen, an denen sie aufgehängt ist, holpern wir auf die andere Seite. Der japanische Architekt, der die Brücke entworfen hat, ist noch vor ihrer Fertigstellung gestorben. Er hatte darum gebeten, in der Brückenmitte eingemauert zu werden, aber solche Dinge erlaubt das Gesetz nicht. Unter der Brücke fließt der schwarze Fluss, reißender denn je durch den Regen der letzten Tage.
    Wir erreichen die Ringautobahn und lassen den Flughafen mit seinem internationalen Flugverkehr hinter uns. Hinweisschilder sausen am Fenster vorbei, als die Ausfahrt zur Altstadt auftaucht, biegt der Taxifahrer ab. Wie viel schneller würde es gehen, wenn auch Autos die Abkürzung über die Eisenbrücke nehmen dürften. Wir setzen die Fahrt auf einer langen, breiten Chaussee fort, dreispurig in beiden Richtungen. Ich lese die Zeit an der LED -Anzeige im Rückspiegel ab: Es ist fünf Uhr fünfunddreißig.
    Ich hoffe bloß, dass Naomi sich nicht vom Fleck bewegt hat.
    Ein Stück weiter vorn erkenne ich die Todeskurve der Achterbahn, die hinter einer Einfassungsmauer herausragt. Ein Schnörkel aus schwarzem Eisen, der sich vor dem blaugrauen Himmel abzeichnet. Ich unterdrücke ein Schaudern: der alte Vergnügungspark der Stadt. Vielmehr der neue jetzt. Ich hatte die Einweihung ganz vergessen. Am 19 . Februar um zwanzig Uhr dreißig. Meine Kehle schnürt sich zusammen.
    Das ist heute Abend.
    Ich habe eine böse Vorahnung.
    Ich beiße mir in den Finger und schließe die Augen.
    Der Vergnügungspark verschwindet in der Morgendämmerung.
    Der Taxifahrer sagt wieder etwas, das ich nicht verstehe.
     
    Als wir zu der alten Kirche und dem Friedhof kommen, hat der Himmel einen milchigen Farbton angenommen. Der steinerne Kirchturm ragt über den Hausdächern empor.
    »Halten Sie hier«, sage ich. »Und warten Sie bitte.«
    Hastig steige ich aus. Es ist diese unwirkliche Morgenstunde, in der das künstliche Licht der noch brennenden Straßenlampen und das Tageslicht der gerade aufgehenden Sonne die Schatten aufzulösen scheinen.
    Ich renne um die Kirche herum auf die Freitreppe zu, die zum Haupteingang hinaufführt. Dort, unter dem Säulenportal, sehe ich Naomis zusammengekauerte Gestalt.
    Ich stürze zu ihr.
    »Ich bin da, Naomi! Hörst du mich?«
    Wohl eher nicht. Sie regt sich kaum, wirkt völlig apathisch, kann die Augen nicht offen halten. Aber sie ist nicht einfach nur betrunken. Sie hat eine Reihe von kleinen Wunden im Gesicht, ist leichenblass und blutet aus der Nase.
    »Naomi?«
    Ich versuche es mit leichten Ohrfeigen, um sie zu Bewusstsein zu bringen.
    »Hilf … mir«, bringt sie bloß leise heraus, ohne die Augen zu öffnen.
    Also lege ich mir ihren Arm um die Schultern, hieve sie hoch und schaffe es irgendwie, sie bis zum Taxi zu schleppen.
    »Helfen Sie mir bitte!«, schreie ich.
    Doch der Asiat bekommt einen Schreck, als er Naomi kurz vorm Kollaps herantaumeln sieht. Er macht die Scheinwerfer an, gibt Gas und braust davon. Ich kann ihm kaum noch ausweichen, so schnell verschwindet er in den gewundenen Altstadtgassen, ohne sich die Fahrt bezahlen zu lassen.
    Naomi wird immer schwerer, ich schleife sie jetzt praktisch mit mir.
    Als ich sie nicht mehr halten kann, lasse ich sie auf eine Bank gleiten und sinke selbst

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