Nacht
der er nicht fehlen darf.«
Das muss dieselbe sein, zu der auch Naomi eingeladen ist.
»Und warum gehst du nicht selbst hin?«
»Weil ich jetzt einen Job habe.« Sie sieht ihren Vater beifallheischend an. »Ich bleibe gern bei dir, Papa. Und auch bei euch, natürlich.«
Was für eine Heuchlerin. Sie lächelt gnädig in die Runde und verteilt augenzwinkernde Blicke aus ihren kalten gelblichen Augen. Mein Vater hat mir mal aus irgendeinem Grund gesagt, dass ich Leuten mit gelben Augen nicht trauen soll. Vielleicht war es eine Frau mit gelben Augen, die ihn uns weggenommen hat.
»Eine Party ist wie die andere«, bemerkt jemand am Tisch.
Die Wanduhr in Form eines Huhns zeigt kurz nach elf.
»Wir müssen gehen«, sagt Jenna schließlich. »Eine gewisse Person hier sollte schon längst im Bett sein.«
Lina sitzt glücklich und zufrieden vor ihrem leeren Teller.
Gad steht auf, um Jennas Mantel zu holen. »Sicher, sicher. Das verstehe ich.«
»Brauchst du Hilfe beim Aufräumen, Gad?«, fragt Jenna, als sie das leere Lokal durchquert.
»Nein, mach dir keine Mühe. Tea ist ja da.«
Jenna gibt ihm einen flüchtigen Kuss auf die schmalen Lippen. Sie lässt sich von ihm in den Mantel helfen und sagt: »Also, wir verabschieden uns. Danke für das Essen.«
Ich lächele. »Danke, Gad. Das war wirklich lecker.«
Jenna wirkt zufrieden.
»Tea …«
»Alma …«
Wir verlassen das Gustibus und flitzen kurz darauf wieder durch die Straßen der Stadt. Lina schläft auf dem Rücksitz sofort ein, völlig erledigt von Kartoffelkroketten und Hähnchen.
»Ich denke, Tea hat das Richtige getan. Gad ist sehr glücklich darüber«, sagt Jenna, als wir vor dem Haus halten.
»Ich traue ihr nicht.«
»Alma … du bist voreingenommen.«
»Sag Gad, er soll jeden Abend die Kasse kontrollieren.«
»Alma!«
»Sag es ihm, okay?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, steige ich aus dem Auto, klappe den Sitz nach vorn und strecke mich, um meine Schwester herauszuheben. Vorsichtig, um nicht mit ihr gegen die Wagentür zu stoßen, nehme ich sie in den Arm. Sie ist leicht wie ein Vögelchen.
Ich sehe hinauf in den Himmel.
Inmitten der Wolken, über den schlafenden Dächern dieser Stadt, sehe ich plötzlich einen Stern blinken. Überrascht drücke ich Lina an mich.
Das ist schon fast ein Wunder zu viel für heute.
[home]
Kapitel 27
I ch habe keine Ahnung, wie spät es ist, ob Tag oder Nacht, als das Telefon klingelt und mich aus dem Schlaf reißt.
Es ist Nacht.
Ich taste mich blindlings voran wie ein Tiefseetaucher und beeile mich, zum Telefon zu kommen, ohne ein einziges Licht anzumachen. Jenna hat es nicht gehört, sie schläft mit Ohrstöpseln. Evan ist wahrscheinlich noch nicht zurück, und Lina steht möglicherweise am anderen Ende des Flurs, kann aber nicht rangehen, selbst wenn sie wollte. Wir haben nur einen Apparat, und zwar in der Diele. Ich fühle einen eiskalten Luftzug unter der Tür hindurchkriechen, als ich barfuß auf den Fliesen stehe.
Ich nehme den Hörer ab.
»Hallo?«
Meine Augen tun weh. Es muss wirklich mitten in der Nacht sein.
»Hallo?«, wiederhole ich.
Ich höre nur ein leises Rascheln. Dann ein Schaben, gefolgt von einer schwachen Stimme: »Alma …«
»Wer ist da? Hallo?«
»Ich b-bin’s, N… mi…«
»Was?«
»N… ao… mi.«
Mein Herzschlag setzt aus.
»Naomi? Bist du das? Was ist passiert?«
»K-komm … h-hol mich …«
»Wo bist du?«
»K-Kirche … A-Altstadt …«
»Bei der Kirche in der Altstadt?«
»B-Bitte …«
»Ich komme sofort!«
Ich stürze zurück in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Jeans, Rollkragenpullover. Ein Blick zum Wecker: Es ist fünf. Später, als ich dachte. Was macht Naomi um diese Zeit da draußen?
»Die Party«, sage ich mir.
Ich suche nach meinen Turnschuhen, finde sie, schlüpfe hinein.
Was kann nur passiert sein?
Einen Augenblick überlege ich, Jenna zu wecken und mich von ihr im Auto hinfahren zu lassen, verwerfe den Gedanken aber. Naomi ist höchstwahrscheinlich betrunken, und ich will nicht riskieren, sie in Schwierigkeiten zu bringen, indem ich mit meiner Mutter erscheine. Ich muss mir etwas einfallen lassen, zu Fuß ist es zu weit. Fahrrad kommt auch nicht in Frage. Ich mache den Schrank auf und krame in der obersten Schublade. Werfe alles durcheinander. Unter den Nylonstrumpfhosen liegen meine Ersparnisse. Ich nehme ein zerknittertes Bündel Scheine heraus.
Möglichst leise gehe ich zurück in die Diele, hole das Telefonbuch aus
Weitere Kostenlose Bücher