Nacht
Industrie-Entlüfter, eingerahmt von einem Spinnennetz aus Kupferleitungen. In jeder Ecke schaukelt ein Lianendschungel aus Wimpelketten mit Bierwerbung.
Sobald Gad uns hereinkommen sieht, strahlt er uns hinter seiner Theke lächelnd entgegen. Er scheint sich wirklich auf diesen Abend zu freuen.
»Herzlich willkommen! Setzt euch dorthin. Ich bin gleich bei euch.«
Er zeigt auf den letzten Tisch in der Reihe, den ruhigsten und abgelegensten, auf dem ein »Reserviert«-Schild thront, das von zwei Hühnerschenkeln aus Plastik gehalten wird.
Im Lokal herrscht einiger Betrieb. Eine andere Familie – Vater, Mutter und zwei Töchter – sitzt ein paar Tische von uns entfernt und schlingt Hähnchenflügel mit einer Gier hinunter, als hätte sie seit Monaten nichts zu essen bekommen. Ein Paar mittleren Alters starrt auf der Suche nach einem Gesprächsthema in den Schaum seiner Biergläser, und zwei offensichtlich schwule junge Männer warten vor dem Tresen auf ihre Portionen zum Mitnehmen.
Tea taucht unerwartet aus der Küche auf. Mit einem Gang, als wäre sie die Chefin.
»Jenna!«, ruft sie. »Alma!« Dann sieht sie zu Lina herunter: »Und meine kleine Lieblingscousine!«
Gad beobachtet die Szene lächelnd. Jetzt ist sein Glück perfekt.
Tea will uns auf die Wangen küssen. »Guten Abend, hallo, die Damen.«
Meine Mutter fasst sie an beiden Schultern. »Gad hat mir alles erzählt. Ich bin sehr stolz …«
»Das freut mich.«
»Dein Vater braucht dich.«
Tea lächelt falsch. Sie geht in die Knie, um Lina zu küssen, die nicht will, dass sie ihren Haarreif anfasst, und kommt dann zu mir.
Ich gebe ihr die Hand, steif und gleichgültig, halte sie auf Abstand. »Hallo, Tea, wie geht’s?«
»Sehr gut, danke. Und dir? Hast du jetzt endlich einen Freund?«
Ich mustere sie. Die weiß-rot gewürfelte Latzhose steht ihr wie einem Beduinen ein schottischer Kilt. Ihre dünnen Haare haben seit Wochen kein Shampoo gesehen. Und ihr schwarzer Nagellack blättert ab. Wenn sie wüsste, dass ich über ihren miesen Plan Bescheid weiß, wäre sie garantiert nicht so unverschämt.
Aber alles zu seiner Zeit.
»Kein Freund, nein. Ich habe anderes zu tun.«
»Ach ja? Und was?«
»Ich lebe.«
Jenna wirft mir einen strengen Blick zu. Ich ziehe meinen Mantel aus und hänge ihn über die anderen. So wird er wahrscheinlich am meisten von dem Fettgeruch aufsaugen. Dabei stelle ich meine neuen Stiefel zur Schau und sehe, dass Tea sie bemerkt.
»Was darf ich euch Gutes anbieten?«, donnert Gad wie eine griechische Gottheit von der Theke aus.
»Ja, sagt, was möchtet ihr?«, ahmt seine Tochter ihn nach.
»Hähnchen, Hähnchen oder Hähnchen?«, äffe ich sie meinerseits nach.
»Tea, hast du das Schild umgedreht?«, fragt Gad. Dann tut er es schnaufend selbst, geht zur Tür und dreht es mit der »Geschlossen«-Seite nach vorn.
»So haben wir es ein bisschen ruhiger«, sagt er lächelnd zu uns und den anderen Gästen.
»Also, was essen wir?«, wiederholt er und gibt Jenna einen Kuss. »Habt ihr Lust auf ein sen-sa-tio-nelles Zicklein?«
Nicht mein Geschmack, aber ich sage nichts.
Wir entscheiden uns für zwei sensationelle Zicklein, frittierte Hähnchenflügel und eine Pyramide aus Kartoffelkroketten für Lina. Gad kehrt hinter die Theke zurück und macht sich daran, alles in den verschiedenen Fettwannen zu frittieren. Der Geruch des Frittierteigs dringt in meinen Körper ein wie ein Gift.
Wir fangen an zu essen, und das Zicklein ist wirklich gut. Als die anderen Gäste gegangen sind, setzen sich Gad und Tea zu uns und legen ihre Schürzen ab. Die übliche Unterhaltung nimmt ihren Lauf, Anekdoten und Geschichten werden aufgetischt, die wir bereits kennen. Jenna aber strahlt in ihrem kleinen Schwarzen. Ich spiele mit und höre genauer zu, als das Gespräch auf Tea und ihre Arbeit im Lokal kommt.
»Und dein Freund, was sagt der dazu?«, fragt Jenna sie.
»Dem gefällt es, würde ich sagen. Er hat nichts dagegen, dass ich wo arbeite, wo es immer was zu essen für ihn gibt.«
Jeder weiß, dass ihr Freund Michi keine Gratismahlzeit verschmähen würde.
»Hast du ihm nicht gesagt, dass er auch vorbeikommen soll?«, fragt Gad verwundert. »Wo wir doch alle hier so schön zusammen sind.«
Anscheinend hat Evan es bereits geschafft, aus der »Familienidee« ausgeschlossen zu sein.
»Nein«, antwortet Tea. »Das heißt, doch, aber er konnte nicht.«
»Wieso nicht?«, bohre ich boshaft nach.
»Er ist zu einer Party eingeladen, bei
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