Nacht
schlaff und keuchend gegen die Lehne.
Ich wühle in meiner Jackentasche nach ein paar Münzen, um zu Hause anzurufen. Doch meine Finger bekommen etwas anderes zu fassen: den Papierdrachen. Ich hole ihn heraus, die Nummer auf dem Schwanz ist noch lesbar.
Ich laufe zur nächsten Telefonzelle. Fast alle sind inzwischen entfernt worden. Ich stecke die Münzen in den Schlitz. Eine, zwei, drei. Sie fallen unendlich langsam.
Dann wähle ich die Nummer, und Morgan meldet sich beim zweiten Klingeln.
Als hätte er auf meinen Anruf gewartet.
[home]
Kapitel 28
M organ sitzt neben mir im Wartezimmer der Notaufnahme. Er sagt nichts. Ich auch nicht. Ich denke daran, wie schnell Morgan nach meinem Anruf da war, und wie besorgt er aussah, bis er begriffen hatte, dass mit mir alles in Ordnung ist.
Wir haben Naomi ins Auto geladen und sie mit Vollgas ins Krankenhaus gefahren, um sie dort den wachsamen Augen der Weißkittel anzuvertrauen.
Es ist jetzt sieben.
»Wie geht’s dir?«
Er sieht mich mitfühlend an.
Ich nehme die Berührung seines Arms an meiner Seite wahr. Er strahlt eine tröstliche Wärme aus. Ich beuge mich vor und stütze die Stirn in die Hände.
»Ich bin es nicht, der es schlechtgeht.«
»Sie wird es überstehen.«
»Was meinst du, was mit ihr passiert ist?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie schien …« Er schnaubt und gestikuliert mit den Händen. »Unter Drogen zu stehen oder so was.«
»Das dachte ich auch.«
Ich balle die Fäuste und füge halblaut hinzu: »Tito.«
Er lehnt sich auf dem Plastikstuhl zurück. »Wer ist dieser Tito?«
Normalerweise rede ich nicht mit anderen über die Angelegenheiten meiner Freundinnen, aber das ist ein Notfall.
»Ein Typ, mit dem sie sich seit kurzem trifft.«
»Groß, Pferdeschwanz, Schlitzaugen?«
»Du kennst ihn?«
Morgan schüttelt den Kopf. »Nicht wirklich.«
»Hört sich aber so an, als wäre er dir nicht besonders sympathisch.«
»Nein. Erzähl weiter.«
Ich sehe ihn an. »Wäre doch möglich, dass sie wirklich unter Drogen stand. Man könnte sie gezwungen haben, irgendetwas zu nehmen. Und dann … diese Schnittwunden in ihrem Gesicht – das könnte Tito gewesen sein.«
»Wie kam sie dir in den letzten Tagen vor?«
»Sie war glücklich. Wir sind sogar zusammen losgegangen, um neue Schuhe für sie zu kaufen.«
»Verstehe. Und dann?«
»Viel mehr gibt es nicht zu erzählen, außer dass mir dieser Typ auch nicht gefällt. Ich kenne ihn zwar nicht, aber ich kenne jemanden, der sich mit seiner Clique rumtreibt, und …«
Was rede ich denn da, denke ich und unterbreche mich. Morgan treibt sich schließlich mit Adam rum. Adam, der dieses Video von Seline gedreht und das Büro des Direktors in Brand gesteckt hat. Sie waren sogar zusammen im Schwimmbad.
»Warum redest du nicht weiter?«
Ich schüttele den Kopf. »Nur so. Das ist alles. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Hat Naomi dir gesagt, was das für eine Party war, auf die sie gehen wollte? Und wohin? In ein Lokal oder was?«
Ich kaue auf meiner Unterlippe, bevor ich antworte. »Nein, das wusste sie selbst nicht. Es sollte eine Überraschungsparty sein. Eine exklusive Party. Genau dieser Mist, wie ich ihn hasse.«
Ich sehe Morgan an. »Er ist dafür verantwortlich, oder? Es ist auf der Party passiert, meinst du nicht?«
Morgan nickt. »Wahrscheinlich.«
»Zwei jetzt«, murmele ich. Zuerst Adam mit Seline, jetzt Tito mit Naomi.
»Zwei was?«
»Nichts, nichts. Aber wenn er es wirklich war, der sie so zugerichtet hat, wird er dafür bezahlen, das schwöre ich dir.«
»Und wie willst du ihn bezahlen lassen?«
Plötzlich habe ich den Eindruck, dass Morgan von dem Hinterhalt am Fluss weiß. Ich vermute, dass Adam geplaudert hat. Dieser verdammte Wurm von Adam. Trotzdem sehe ich keine Spur eines Vorwurfs in Morgans Augen. Er ist ernst, unruhig, auf attraktive Weise blass. Sonst nichts. Ich halte seinem Blick so lange wie möglich stand, dann werden wir von dem diensthabenden Arzt unterbrochen. Es ist ein großer, dicker Mann mit einem dunklen Vollbart und einem Primatengesicht. Er wirkt todmüde und blinzelt oft mit den Augen, wie um sich ein paar Millisekunden Schlaf zu gönnen.
»Haben Sie beide Naomi hergebracht?«
Morgan steht auf. »Ja.«
»Und haben Sie ihre Eltern benachrichtigt?«
Ich bleibe stumm.
»Unsere Eltern sind zurzeit nicht in der Stadt, ich bin ihr Bruder. Ich bin volljährig.« Er lügt mit einer Flüssigkeit, die mich sprachlos macht. Er zeigt auf mich. »Alma hier ist
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