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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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merkwürdig«, sagte er, schüttelte die Löwenmähne und löste sich in Luft auf. Nur seine Worte hallten in der kleinen Hütte nach: »Es ist schon merkwürdig, wie das Unterbewusstsein herausgefordert werden kann, wenn man es nur mit den richtigen Dingen konfrontiert.«
    Ich runzelte die Stirn. Was meinte er damit? Ich tastete nach dem Pergament an meiner Brust. Es knisterte. Selbstverständlich hatte ich es eingesteckt. Jeder noch so kleine Hinweis auf die Prophezeiung war wichtig. Ich konnte schließlich nicht ewig darauf warten, dass den Gelehrten bei meinem Anblick ein Geistesblitz durchzuckte. Oder hatte der Mantikor etwa gemeint …
    Plötzlich rastete etwas in meinen Gedanken mit einem feinen Klicken ein. Mir kam eine Idee, wie ich dem Geheimnis um den Weißen Löwen und meine Bestimmung endlich auf die Spur kommen würde. Nein, eigentlich waren es sogar mehrere.
    Hastig schlang ich den Mantel enger um mich. Dann stürzte ich in die Dunkelheit Eisenheims hinaus.
     
    Auf dem ganzen Weg zurück nach Notre-Dame hielten Sieben und ich nicht ein einziges Mal inne, zum einen, weil ich es nicht abwarten konnte auszuprobieren, was mir im Haus der Immonens in den Sinn gekommen war, zum anderen, weil sich am Himmel über der Stadt wieder einmal finstere Gewitterwolken auftürmten. Die Spannung, die in der Luft lag, verhieß nichts Gutes, ein leichter Ascheregen nieselte in die Straßenschluchten hinab und legte sich als schmieriger Film auf das Kopfsteinpflaster. Der erste Anflug von Panik ergriff von den Bewohnern Eisenheims Besitz und ließ sie in ihre Häuser eilen.
    Doch es war nicht nur der Ascheregen, der mich beunruhigte, es war auch das Nichts. Undurchdringlich, gewaltig, tödlich ragte es an den Grenzen der Stadt auf, bereit zum Sprung und noch Furcht einflößender als sonst. Denn in seinem Innern bewegte sich etwas. Zuerst hätte man vielleicht noch meinen können, dass der Wind die Schwaden des Nichts durcheinanderwirbelte und zum Tanzen brachte. Doch nach und nach waren immer mehr Einzelheiten im nebligen Dunst zu erkennen. Haare, die von fratzenhaften Schädeln züngelten. Flatternde Geisterfinger, die nach den Häusern und Straßen griffen. In meiner Brust wallte der inzwischen schon so vertraute Schmerz auf.
    Ich beschleunigte meine Schritte, rannte jetzt. Sieben wies mir den Weg quer durch die Stadt, durch Hinterhöfe und schmale Gassen, auf Schleichwegen durch Mylchen und Graldingen, bis schließlich die vertraute Silhouette der Kathedrale vor uns in den Himmel ragte.
    Etwa drei Minuten später klopfte ich vollkommen außer Atem an die Tür der Dame, die vor ein paar Tagen in ihre wiederhergerichteten Gemächer zurückgekehrt war. Es dauerte einen endlosen Moment lang, bis sie mir öffnete, und dann noch einmal eine halbe Ewigkeit, bis ich ihr mein Vorhaben erklärt und sie zum Mitkommen überredet hatte. Dann jedoch folgte sie mir durch die Eingeweide des Hauptquartiers hinauf zum Turmzimmer des Großmeisters.
    Fluvius Grindeaut saß wie immer in seinem Sessel vor dem Kamin. Der Prophet hockte sabbernd zu seinen Füßen und zwirbelte die Fransen des Perserteppichs zwischen seinen Fingern. Er war darin so versunken, dass er unser Eintreten überhaupt nicht zu bemerken schien.
    Dem Großmeister ging es da ganz anders: »Flora! Ich dachte, du würdest mit den anderen nach Marian suchen. Meine Dame! Was hat Sie dazu veranlasst, Ihre Gemächer zu verlassen?«, begrüßte er uns. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    Aufgeregt zog ich das Pergament aus meiner Manteltasche und hielt es ihm unter die Nase. »Das hier habe ich im Haus der Immonens gefunden«, erklärte ich. »Ich dachte, wenn wir es Desiderius zeigen, bringt das vielleicht in seinem Unterbewusstsein etwas zum Klingen. Es ist immerhin seine eigene Handschrift. Jedenfalls faselt er doch immer ein paar Prophezeiungsbrocken vor sich hin, wenn er mich sieht. Deshalb dachte ich, wenn er die Prophezeiung selbst sieht und außerdem …« Die Dame und ich tauschten einen Blick. Es war ihr unangenehm, hier zu sein, das spürte ich genau. »Außerdem ist auch die Dame in die Geschichte um den Weißen Löwen verwickelt. Möglicherweise reagiert der Prophet ja auch auf sie. Das könnte doch sein, oder? Ich meine –«
    Mit einem Nicken brachte der Großmeister mich zum Schweigen. Zwischen seinen Brauen hatte sich eine Falte gebildet. »Du kennst die Identität der Dame?«, fragte er langsam.
    »Nein, aber–«
    »Ich habe ihr vor ein

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