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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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des Nichts am Rande des Platzes. Noch immer bebte die Erde, sodass wir uns aneinander festhalten mussten, um auf den Füßen zu bleiben. Allerdings lag der Teil des Nichts, der uns am nächsten war, vollkommen ruhig da.
    »Vielleicht kommt die Stadt heute Nacht noch einmal davon«, sagte einer der Kammerdiener zu meiner Linken. Eines der Mädchen wollte ihm zustimmen, brach dann jedoch mitten im Satz ab.
    »Nein«, wisperte ich in die plötzliche Stille und deutete Richtung Norden. Ein Dutzend Köpfe wandte sich um und beobachteten mit mir, wie das Nichts sich einen gewaltigen Bissen Eisenheims einverleibte. Einige Meilen entfernt, dort wo der Krawoster Grund den Horizont berührte, schlug es zu. Gnadenlos. Grausam. Und zugleich anmutig. Zuerst türmten sich die gewaltigen Schwaden in den Himmel auf, kilometerhoch. Dann wölbten sie sich langsam nach vorn, beugten sich über die ersten Häuser und verharrten dort, als wollten sie lediglich nach dem Rechten sehen, bevor sie sich schließlich über das Leben senkten wie ein Tsunami. Die Siedlung der Arbeiter war zu weit entfernt, als dass wir hätten erkennen können, wie groß das Ausmaß der Verluste tatsächlich war. Doch es musste verheerend sein.
    Desiderius, der sich noch immer an Fluvius Grindeauts Schultern klammerte, stieß einen durchdringenden Schrei aus. Sein Wehklagen zerschnitt das fassungslose Schweigen. Meine Mutter taumelte rückwärts gegen die prunkvolle Fassade Notre-Dames.
    »Hätte ich mich doch nur nicht so aufgeregt«, murmelte sie mit geschlossenen Augen.
    »Wir wissen noch immer nicht, ob es wirklich Ihre Schuld ist«, beeilte sich der Großmeister zu sagen.
    »Doch«, flüsterte meine Mutter hinter ihrer Maske. »Das ist es. Ich bringe dieser Welt nichts als Verderben.« Sie stürzte so hastig zurück ins Innere der Kathedrale, dass sie beinahe Madame Mafalda umgerissen hätte, die erst jetzt nach draußen trat.
    »Was ist passiert?«, keuchte sie.
    Ihr Bruder antwortete ihr mit einem Blick, der dafür sorgte, dass ihr farbloses Gesicht noch eine Spur blasser wurde. Der Großmeister überließ ihr den mageren Gelehrten und machte sich auf den Weg zu meinem Vater, um einen Krisenstab einzuberufen. Selbstverständlich würde ich ihn begleiten. Doch als ich ihm zum Ankerplatz seines Luftschiffes folgen wollte, lösten sich zwei weitere Gestalten aus dem Häusermeer. Die eine hatte das lange Haar zu einem Knoten gebunden und trug ein Gesicht voller Narben. Die andere war groß und bleich. Weißblondes Haar fiel ihr in die Stirn.
    Ich rannte zu Amadé und Marian hinüber. Beide wirkten abgekämpft, Marian atmete schwer, Schweißperlen rannen über Amadés zerfurchte Stirn.
    »Marian!«, rief ich und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, doch etwas in seinem Blick hielt mich davon ab. Ein neuer Abgrund. Etwas Grauenhaftes, das sich darin spiegelte. Mit den Fingerspitzen berührte ich die Ärmel seines zerschlissenen Schutzanzugs. »Wo warst du denn?«, fragte ich.
    Marian antwortete nicht. Vielleicht war dies auch der falsche Zeitpunkt. Ich hatte eben immerhin herausgefunden, dass die Dame meine Mutter und vermutlich für all das, was vor sich ging, verantwortlich war. Der Prophet hatte endlich mehr von seiner Prophezeiung preisgegeben und das Nichts – ich schluckte – das Nichts hatte gerade vermutlich Hunderte von Seelen in den Tod gerissen. Wir konnten auch später noch klären, wo Marians Seele sich in der letzten Zeit aufgehalten hatte.
    »Flora?«, rief der Großmeister. »Wir müssen uns beeilen.«
    »Ich komme sofort«, entgegnete ich. Mein Blick wanderte von Marian zu Amadé und wieder zurück.
    »Ich bin ihm im Krawoster Grund über den Weg gelaufen. Seine Seele muss sich durch das Nichts zurückgeschleppt und dann einige Wochen lang im Haus seiner Eltern aufgehalten haben, bis er wieder kräftig genug war aufzustehen«, sagte Amadé.
    Ich runzelte die Brauen. »Das kann nicht sein. Ich war heute erst dort«, wandte ich ein. »Alles war von einer dicken Staubschicht überzogen.«
    Marian presste die Kiefer aufeinander, als ich versuchte, den Abgrund in seinen Augen zu ergründen.
    »Hoheit?«, rief der Großmeister, der mich sonst niemals so förmlich ansprach. »Wir müssen zum Fürsten.«
    Ich seufzte. »Schön jedenfalls, dass du auch in dieser Welt wieder da bist«, sagte ich. Dann folgte ich Fluvius Grindeaut, um mich mit meinem Vater zu beraten.

21
DIE PROPHEZEIUNG
    Die folgenden Nächte verbrachten wir damit, die Seelen

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