Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
Vom Netzwerk:
»Warum? Das würde doch nichts ändern. Außerdem wird mir nichts passieren. Ich erinnere mich zwar nur verschwommen, aber ich glaube, ich war in all den Wochen dort draußen.« Er gähnte.
    »Wo denn genau?«, fragte ich. »Im Schlund? Hat deine Seele es bis dahin zurückgeschafft? Vielleicht können wir dich dort abholen. Du musst uns nur sagen, wo.«
    Marian seufzte. »Keine Ahnung«, nuschelte er und schloss die Augen. »Ich erinnere mich nur noch an … Geister.«
    »Geister?«, fragte ich. »Wie meinst du das?«
    Doch Marian war bereits wieder eingeschlafen.

20
HINTER DER MASKE
    Zum ersten Mal seit Wochen erhellte ein Lächeln Ylvas schmale Züge, als sie am nächsten Tag das Krankenhauszimmer ihres Bruders betrat. Mein Vater und Christabel ließen den Laden zur Feier des Tages geschlossen, ich schwänzte die Schule, wir bestellten Pizza auf die Station und blieben bis zum Abend. Marian war nach wie vor schwach, musste sich zwischendurch häufig ausruhen und vom Sprechen wurde er rasch heiser. Dennoch kehrte er nach jedem Nickerchen zu uns zurück.
    Wir wussten auch weiterhin nicht, wo sich seine Seele in Eisenheim aufhielt, ob er im Nichts umherirrte, denn er weigerte sich, uns davon zu erzählen. Nach ein paar Versuchen, die Wahrheit aus ihm herauszukriegen, hatten wir es aufgegeben und bedrängten ihn nicht weiter. Wichtig war doch vor allem, dass es ihm gut ging und er wieder da war. Allein in seiner Nähe zu sein, das Grün seiner Augen zu sehen, den Klang seiner Stimme zu hören, war mir im Moment genug. Wieder und wieder hatte ich nach seiner Hand greifen müssen, um sicherzugehen, dass all dies Realität war. Dass Marian tatsächlich wieder bei mir war.
    Er fehlte mir bereits, kaum dass wir das Krankenhaus verlassen hatten. Und auch später, in der Schattenwelt, konnte ich kaum einen anderen Gedanken fassen. Das Dämmerungstraining entfiel, weil mein Vater alle Kämpfer des Grauen Bundes damit beauftragt hatte, Eisenheim nach Marians Seele abzusuchen. Wir schwärmten also in die nächtliche Metropole aus und hielten Ausschau.
    Sieben und ich hatten es dabei auf ein ganz bestimmtes Haus in den Tiefen des Krawoster Grunds abgesehen. Der Großmeister hatte mir die feinsäuberlich auf ein Stück gerolltes Papier notierte Adresse zugesteckt und ich wunderte mich ein wenig, wieso ich nicht früher auf die Idee gekommen war, Marians Elternhaus einen Besuch abzustatten. Immerhin hatten Amadé und Marian dort einen weiteren Teil der Prophezeiung gefunden. Vielleicht lauerten ja noch mehr Informationen im Nachlass der Immonens und nun, da Marian in der realen Welt wieder unter uns weilte, war es doch auch gar nicht so unwahrscheinlich, seine Seele dort anzutreffen, oder? Immerhin war dies der Ort, den er stets aufgesucht hatte, wenn er in den Wochen vor unserer Expedition von der Bildfläche verschwunden war …
    Das Haus, das Marians Eltern vor ihrer Ermordung in der Schattenwelt bewohnt hatten, war genauso schäbig wie die übrigen Gebäude des Viertels. Eine Baracke, wie es Tausende von ihnen im Stadtteil der Arbeiter gab, die Wände aus groben Brettern gezimmert, durch deren Ritzen der eisige Wind pfiff, das Dach krumm und schief, der improvisierte Schornstein baufällig. Drinnen sah es kaum besser aus. Es war düster und unaufgeräumt. Mit einem Vorhang hatten Marians Eltern den kargen Raum aufgeteilt. Im vorderen Teil befand sich eine mittelalterlich anmutende Kochstelle mit einem Topf, der an einer Kette unter dem Rauchfang baumelte, davor standen ein Tisch und vier Stühle. Die Wände waren über und über mit Regalbrettern bedeckt, in denen sich Papiere und alchimistische Gerätschaften stapelten, so ähnlich wie in Fluvius Grindeauts Büro. Siebens Licht glitt flackernd über vergilbte Notizen, Glaskolben, Zirkel und Pipetten, Zahnräder, Schraubenzieher und Maschinenteile, die so aussahen, als wären sie beim Bau des Materiophons, an dem Ylvas Seele hing, übrig geblieben. Marians Eltern waren also nicht nur Wissenschaftler gewesen, sie mussten sich auch sehr für die Rechte der Schlafenden eingesetzt haben, wenn sie es auf sich genommen hatten, ihre Nächte aus Solidarität in dieser heruntergekommenen Behausung zu verbringen.
    Meine Finger strichen über die Papierstapel. Soweit ich es erkennen konnte, waren es hauptsächlich Skizzen von merkwürdigen Gerätschaften wie dem Materiophon. Ich erkannte aber auch Flugmaschinen mit Propellern und gezeichnete Schrauben und Motoren. Eine Weile blätterte

Weitere Kostenlose Bücher