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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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mich hintergehen, vielleicht wird meine Mutter durch das Experiment getötet. Vielleicht hat das Nichts auch schon den Rest der Schattenwelt verschlungen, wenn wir uns heute Abend schlafen legen. Vielleicht ist dann schon alles zu spät und wir sterben. Aber es gibt keine andere Möglichkeit, ich muss den Knochen besorgen und den Stein aus seinem Versteck befreien, ob ich nun will oder nicht.« Vorsichtig berührte ich Marians große Hände. Die Wärme seiner Haut fühlte sich tröstlich an auf meinen flirrenden Schattenfingern und überraschenderweise ließ er mich gewähren. Ich atmete aus. »Was ich sagen will, ist: Egal, wie es am Ende ausgehen wird, alles, was ich mir wünsche, ist, dass ich es nicht allein tun muss. Verstehst du? Ich liebe dich, Marian. Und ich brauche dich an meiner Seite.«
    Marian nickte. »Also gut«, sagte er. »Dann machen wir es gemeinsam.«
     
    Eine knappe Stunde später – Marian hatte noch geduscht und ich war nach Hause geflogen, um meinen Körper ebenfalls ins Badezimmer zu schleppen – warteten wir bereits auf die S-Bahn, die uns zum Essener Hauptbahnhof brachte. Von dort nahmen wir den Regionalexpress nach Köln, wo wir gegen Mittag das imposante Tor des Melatenfriedhofs durchschritten.
    Wir hatten unterwegs nicht viel miteinander geredet, dafür waren wir viel zu schockiert gewesen von dem, was um uns herum geschah. Denn die Menschen verhielten sich merkwürdig. Der Mann, der uns in der Bahn gegenübergesessen hatte, hatte zum Beispiel über eine Stunde lang aus dem Fenster gestarrt, ohne zu blinzeln. Und eine Frau, die ihre Koffer durch den Kölner Hauptbahnhof gezogen hatte, war damit tatsächlich vor eine Wand gelaufen.
    Auf dem Weg zum Friedhof waren wir außerdem an einer auffälligen Anzahl von Verkehrsunfällen vorbeigekommen, und als wir nun zwischen den Gräbern von Prominenten und imposanten Engeln aus Stein hindurchliefen, stand dort eine Oma, die geistesabwesend eine Vase befüllen wollte, obwohl diese längst voll war. Wasser spritzte nach allen Seiten, doch sie schien es überhaupt nicht zu bemerken. Erst als wir sie ansprachen, drehte sie, die Pupillen starr nach vorn gerichtet, den Hahn zu und tapette durch die entstandene Pfütze davon, als sei alles in bester Ordnung.
    Es war, als wären all diese Menschen geistig überhaupt nicht anwesend. Zuerst hatten wir uns darüber gewundert, doch allmählich dämmerte es mir: Diese Leute mussten diejenigen sein, deren Seelen das Nichts heute Nacht verschlungen hatte! Sie lebten zwar noch, aber waren doch nur wie Schlafwandler in der realen Welt unterwegs.
    Das Grab der Familie von Berg lag ein wenig versteckt hinter Bäumen. Dennoch war es kaum zu übersehen, denn es überragte die umliegenden Begräbnisstätten um mehrere Meter. Eigentlich war es mehr ein Mausoleum als ein Grab und es sah aus wie eine kleine Kirche. Der vordere Teil mit der schweren Eichentür wurde von einem Spitzdach bedeckt, den hinteren bildete ein achteckiger Turm, auf dessen Spitze der Tod in Gestalt einer Frau im zerfledderten Umhang aus Marmor hockte. Fenster aus buntem Glas zeigten Landschaften, Häuser und Familienmitglieder.
    Eine Weile standen wir unschlüssig davor und starrten das Ding an.
    »Na dann«, sagte ich schließlich. »Holen wir uns diesen blöden Knochen. Bist du bereit?«
    Marian nickte und ich legte die Hand auf die schmiedeeiserne Türklinke, doch sie bewegte sich kein Stück.
    Hinter mir kicherte es leise. »Dachtest du etwa, du kannst einfach so in ein Grabmal hineinspazieren?«, fragte Marian.
    »Nein«, antwortete ich eine Spur zu schnell. »Natürlich nicht. Aber was machen wir jetzt?« Ich betrachtete die Fenster und überlegte, ob wir sie wohl einschlagen sollten. Doch abgesehen davon, dass sie vergittert waren, hätte wohl sogar ich Probleme damit bekommen, mich durch die winzige Öffnung zu quetschen. Mein Blick wanderte daher rasch wieder zu der massiven Tür vor uns zurück. »Hast du zufällig ein Brecheisen in deiner Hosentasche?«
    »Weißt du, eigentlich ist es doch ganz leicht«, sagte Marian, schnappte sich einen großen Kiesel von einem der Nachbargräber und schleuderte ihn auf eines der Fenster. Mit einem Klirren zersprang das Bild eines Herrenhauses in Hunderte von Scherben.
    »Ich glaube ja nicht, dass wir da durch …«, begann ich, wurde jedoch von einer zornigen Männerstimme unterbrochen.
    »Was fällt euch ein, diese Grabstätte zu beschädigen?«
    Marian und ich fuhren herum. Vor uns stand ein

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