Nacht aus Rauch und Nebel
soll ich dann das Experiment umkehren? Das kann ich nicht tun ohne den Weißen Löwen.« Er stapelte die Tassen auf einem silbernen Servierwagen. Porzellan klirrte an Porzellan.
Da es in der Prophezeiung hieß, dass meine Mutter ihr Herz zurückbekommen sollte, war an seinen Worten wohl etwas dran.
»Würden Sie mir eventuell aufmachen?« Der Kanzler schob den Wagen zu einer niedrigen Tür am anderen Ende des Wintergartens. Ich folgte ihm in eine winzige Küche, die zur Hälfte von einer alchimistischen Apparatur eingenommen wurde. Der Geruch muffiger Kaffeebohnen lag in der Luft. War das etwa eine Kaffeemaschine?
»Sie müssen mir erklären, wie es geht. Ich mache es dann.«
»Bei allem Respekt, Hoheit, das wäre viel zu kompliziert. Nein, es geht nicht anders, ich selbst müsste es tun.« Er öffnete einen Hahn über einem marmornen Becken und begann abzuwaschen.
»Ich werde Ihnen niemals trauen«, sagte ich.
Der Kanzler reichte mir ein Trockentuch. »Ich weiß. Und doch wird es notwendig sein.« Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. »Ich werde Ihnen helfen, indem ich es Ihnen leichter mache und Ihnen etwas gestehe: In den letzten Wochen und Monaten ist mir klar geworden, dass es noch etwas anderes gibt, was ich begehre. Mein Preis ist nicht der Stein. Schon vor langer Zeit habe ich herausgefunden, dass es noch eine andere Möglichkeit für mich gibt, in die reale Welt zurückzukehren. Wegen gewisser Nebenwirkungen hatte ich diese Möglichkeit bisher allerdings nie in Erwägung gezogen. Doch nun, da mir hier nichts mehr bleibt …« Er ließ eine schmutzige Tasse im Spülwasser versinken und sah mich an.
Ich runzelte die Stirn. »Woher weiß ich, dass Sie mich nicht belügen?«
»Das können Sie nicht wissen, Hoheit. Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Wenn Sie mir helfen, in die reale Welt zu gelangen, werde ich Meta ihr Herz zurückgeben.«
»Und wie genau würde das funktionieren? Was müsste ich tun?«
Das Spülwasser gluckste, als der Kanzler eine Tasse darin abrieb. Er gab sie mir zum Abtrocknen. »Nun, wie Sie wissen, ist es möglich, kleine Gegenstände aus der Schattenwelt mit in die Realität zu nehmen.«
Ich erinnerte mich an die Sichel, die mir Barnabas untergeschoben hatte, um mich auszuspionieren, und nickte.
»Dies ist angeblich auch umgekehrt möglich. Ein Wandernder namens Arif behauptet das Geheimnis der Transportation zu kennen.«
Ich nickte knapp, das merkwürdige Gespräch auf dem Atelierfest hatte ich nicht vergessen. »Ich soll Ihnen also etwas aus der realen Welt besorgen?«
Er nickte. »Exakt. Nun, da ich keine Schattenreiter mehr habe, brauche ich jemanden, der herausfindet, wie es geht und das Ganze dann für mich tut. Diese Tasse ist jetzt übrigens trocken genug.« Er nahm mir das Gefäß aus der Hand.
»Was wollen Sie haben?«
Der Kanzler senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Einen meiner Knochen.«
» Was?«
»Meine Familie lebte damals in Köln. Soweit ich weiß, haben meine Verwandten meine sterblichen Überreste zu Beginn des 19. Jahrhunderts in eine Familiengruft auf dem Melatenfriedhof überführt. Ein Fingerknochen würde ausreichen. Ich brauche einen Teil meines früheren Körpers, um ihn wieder mit meiner Seele zu verbinden. Nur so kann ich zurück in die reale Welt wandern.«
»Sie wollen, dass ich Ihr Skelett ausgrabe?« Bei dem Gedanken kroch eine Gänsehaut über meinen Nacken.
Doch Alexander von Berg zuckte bloß mit den Achseln. »Und Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, das Nichts aufzuhalten. Das ist mein Preis.«
Ich atmete tief durch. »Also gut«, sagte ich und streckte ihm die Hand hin. »Dann tun wir es.«
»Abgemacht.« Grinsend schlug der Kanzler ein und jagte mir damit einen weiteren Schauer über den Rücken. Mir war alles andere als wohl bei dieser Sache. Der Gedanke, einen Toten auszugraben und seinen Knochen unter meiner Zunge zu transportieren, erschreckte mich; jedoch nicht so sehr wie die Vorstellung, das Leben meiner Mutter, die Zukunft Eisenheims und den Weißen Löwen in die Hände des Eisernen Kanzlers zu legen. Doch mir blieb keine andere Wahl. Allerdings war da noch eine Frage, die mir auf der Seele brannte: »Wenn Sie das Experiment umkehren und meiner Mutter ihr Herz zurückgeben, dann wird sie dabei doch nicht … sterben, oder?«
Mein ehemaliger Erzfeind wiegte den Kopf hin und her. »Schwer zu sagen, wie es ausgehen wird«, antwortete er. »Bisher hat noch niemand etwas Derartiges versucht.«
»Aber Sie werden es
Weitere Kostenlose Bücher