Nacht aus Rauch und Nebel
verzückt geschürzt. Insgesamt fünf Mal wiederholte er die Prozedur, dann räusperte ich mich.
»Da Sie mir die Fesseln nun schon abgenommen haben, hätten Sie da eventuell auch die Güte, mir zu verraten, warum man mir die Dinger überhaupt angelegt hatte?«
Die buschigen Brauen des Bettlers krochen seine Stirn hinauf. »Weil«, sagte er, »Sie gerade eines der bedeutendsten Bauwerke der Schattenwelt in die Luft gejagt haben. Mit Verlaub, Prinzessin, da ist es doch wohl nicht verwunderlich, dass man Sie in Gewahrsam nimmt.«
Ich schnappte nach Luft. » Ich?« Meine Stimme überschlug sich. »Ich soll das getan haben?«
Barnabas nickte und gönnte sich noch eine Portion Staub mit Spinnweben. »Die Untersuchungen an der Ruine haben zwar gerade erst begonnen, doch sie werden zweifelsohne ergeben, dass sich der Auslöser für den Sprengsatz unmittelbar an der Stelle befand, an der Sie heute Abend gegen die Balkonbrüstung gestolpert sind«, schmatzte er. »Sehr überzeugend übrigens, man hätte meinen können, es sei Zufall.«
Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Der Kanzler hat mich geschubst«, sagte ich tonlos.
Der Bettler nickte. »Das würde der Fürst Ihnen vielleicht sogar glauben. Allerdings«, er lächelte, »gibt es da noch eine ganze Reihe von Fotos, die erst vorige Nacht aufgenommen wurden und die Sie an zahlreichen Stellen im Innern der Pyramiden zeigen, an denen Sprengladungen angebracht wurden. Und natürlich gibt es auch eines, auf dem Sie den Balkon präparieren.«
Ich starrte ihn an. »Der Zeitungsartikel«, entfuhr es mir. Natürlich, hatte der Kanzler nicht auch bei meinem ersten Besuch in den Pyramiden dafür gesorgt, dass ich gegen das Geländer prallte?
»Welcher Zeitungsartikel?«, fragte Barnabas und tat überrascht. »Bisher ist nichts Derartiges erschienen. Ihr Vater war allerdings ziemlich enttäuscht, dass Sie sich nicht einmal zu einer Stippvisite bei seinem Herzensprojekt haben hinreißen lassen.«
Meine Hände krallten sich in die Stuhllehne vor mir. »Wieso sollte ich so etwas tun? Das wird Ihnen niemand glauben!«
Barnabas zuckte mit den Achseln. »Doch, natürlich. Mein Herr war gerade beim Fürsten, um ihm das Beweismaterial zu zeigen.«
Der glühende Zorn ballte sich in meiner Brust zu einem Feuerball zusammen, der über meinen Nacken in meinen Kopf hinaufstieg und dort eine Sicherung zum Durchbrennen brachte. Ich schleuderte den Stuhl und den Tisch und noch einen Stuhl beiseite. Das Geräusch von berstendem Holz ging im Rauschen meines Blutes unter. Mit einem Satz war ich bei Barnabas und packte ihn am staubigen Kragen seines Mantels. Vergessen war die Angst, die ich gerade noch vor ihm empfunden hatte. Blitzschnell drehte ich ihm die Arme auf den Rücken, trat ihn vor das vorhandene Schienbein und presste anschließend meinen Ellbogen so fest vor seine Kehle, wie ich konnte.
Mit einem Seitenblick versicherte ich mich, dass das Schattenpferd noch immer vor dem Fenster wartete. »Ich werde jetzt gehen und meinem Vater die Wahrheit erzählen«, zischte ich.
Der Bettler röchelte. »Das bezweifle ich. Doch selbst wenn es Ihnen gelänge: Der Kanzler hat ihm bereits vor einer halben Stunde die Geschichte über die arme Prinzessin erzählt, die es nicht verkraftet, eine Wandernde zu sein. Die überfordert ist von den Geschehnissen, sich vor alldem so sehr fürchtet und ihrem Vater die Schuld an ihrem ruinierten Leben gibt. Das hat die Prinzessin mittlerweile blind vor Zorn werden lassen, und nachdem schon der Verlust des Weißen Löwen auf ihr Konto ging, hat sich ihre kriminelle Energie nun einen neuen Kanal gesucht. Sie konnte ihrem Vater nicht einmal die Freude über ein in ihren Augen so sinnloses Aquarium gönnen!« Mittlerweile bekam der Bettler kaum noch Luft, die letzten Worte waren nur mehr ein Röcheln gewesen, seine Wangen wurden noch eine Spur grauer, seine Pupillen verdrehten sich nach innen.
»Was für eine Scheiße!«, fauchte ich. »Damit wird der Kanzler niemals durchkommen!«
Barnabas stand kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Ich wollte ihn schon loslassen und endlich fliehen, als der zusammengesunkene Körper plötzlich zuckte. Scheinbar mühelos richtete sich der Einbeinige wieder auf und befreite mit einem Ruck seine Arme. Ehe ich mich versah, hatte er ausgeholt. Seine linke Faust traf mich hart im Gesicht und schleuderte mich von ihm. Ich krachte mit dem Rücken auf einen der zerbrochenen Stühle. Sofort war Barnabas, der sich lächelnd
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