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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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Bücher, eine Truhe, in der ich, so erinnerte ich mich, meine Puppen und Stofftiere aufbewahrt hatte, und einen Kleiderschrank mit glänzenden Intarsien. In der Mitte des Zimmers stand außerdem ein Tisch mit zwei Stühlen. Durch einen Vorhang abgeteilt in einer Ecke befand sich das Badezimmer, in der Wand dahinter die eckige Klappe, die den winzigen Aufzug verbarg, über den man mich mit Kleidung, Spielzeug und Lesestoff versorgt hatte. Schließlich gab es im Innern des Turms weder Türen noch Treppen. Früher hatte es neben meinem Bett noch ein weiteres gegeben, in dem meine Kinderfrau geschlafen hatte. Doch als ich älter geworden war, hatte man wohl beschlossen, dass ich auch allein zurechtkommen würde, und sie entlassen. Weder ihr Gesicht noch ihr Name wollten mir einfallen.
    Ich blinzelte, weil ich mich dafür an etwas anderes erinnerte: jene Nacht, in der ich geflohen war! In einer halsbrecherischen Kletterpartie hatte ich mich damals durch eines der beiden Fenster davongestohlen, die man nun wohlweislich vergittert hatte. Anscheinend hatte der Schattenreiter das Fenster, durch das er seine Fracht abgeworfen hatte, anschließend vorbildlich verschlossen.
    Ich nagte an meiner Unterlippe, als sich erneut Flügelschläge näherten und ein Schatten kurz darauf das vordere der beiden Fenster verdunkelte.
    »Na, habt ihr was vergessen?«, rief ich dem Reiter zu, der sich an den Gitterstäben zu schaffen machte. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, doch je länger ich in die Dunkelheit starrte, umso weniger kam es mir so vor, als würden seine Züge zucken und rucken. »Wer sind Sie?«, fragte ich deshalb und bemühte mich, an der Wand entlang so weit wie möglich in die entgegengesetzte Richtung zu rutschen.
    Ein Bein schob sich durch die Öffnung, gefolgt von einem schmächtigen Körper und einem Kopf, der im Vergleich dazu viel zu groß wirkte und an manchen Stellen kahl war, als hätte der Mann sich selbst büschelweise die borstigen Haare ausgerissen, was er vermutlich auch getan hatte. Darunter ein Gesicht, das einer zerknitterten Kohlezeichnung glich.
    Ich hielt die Luft an und war mir einen Augenblick lang nicht sicher, ob ich mich trauen würde weiterzuatmen.
    Denn es war Barnabas, der da zu mir in den Turm kletterte. Barnabas, der Bettler. Barnabas, der ergebenste Diener des Eisernen Kanzlers. Barnabas, der Folterknecht, dem es Freude bereitete, sich und anderen Schmerz zuzufügen.
    Der einbeinige Bettler ließ sich schwerfällig in den Raum gleiten, dann verriegelte er das Fenster und drehte das Licht der Gaslampe höher.
    »Guten Abend, Prinzessin«, begrüßte er mich. Genau wie ich war er über und über mit feinem Staub bedeckt. Mehrere Schnitte durchzogen sein Gesicht, doch auch sie waren von Dreck verkrustet. Anscheinend war er ebenfalls bei der Eröffnungsfeier gewesen.
    Ich presste die Kiefer aufeinander.
    Humpelnd kam Barnabas auf mich zu. Seine Krücke schabte über den steinernen Fußboden.
    Jeder Muskel in meinem Körper verkrampfte sich. »Was wollen Sie?«, rief ich und wich vor ihm zurück. Panik wallte in mir auf, als der Bettler mir ein zahnloses Lächeln schenkte.
    »Nicht viel«, sagte er, was freilich alles bedeuten konnte. Bilder von Amadés Narbengeflecht zogen vor meinem inneren Auge auf. Ich nahm all meine Kraft zusammen und versuchte, trotz meiner zusammengebundenen Beine aufzustehen. Es gelang mir nicht, dafür prallte mein Hinterkopf so heftig gegen die Wand, dass ich einen Moment lang befürchtete, mir den Schädel eingeschlagen zu haben.
    »Aber, aber, Hoheit«, sagte der Bettler. »Man hat mich lediglich hergeschickt, um Ihre Fesseln zu lösen, das ist alles.«
    Ich blähte die Nasenflügel. Wirklich?
    Tatsächlich sackte der Bettler neben mir auf den Boden und machte sich mit schmutzigen Fingern an den Stricken zu schaffen, die meine Handgelenke zusammenhielten und mir bereits ins Fleisch geschnitten hatten. Schweigend befreite er anschließend auch meine Füße.
    Sofort sprang ich auf und stolperte von ihm fort in die andere Ecke des Raumes. Erst als genügend Möbel zwischen uns standen, gestattete ich es mir, meine schmerzenden Gelenke zu massieren. Dabei ließ ich Barnabas nicht aus den Augen.
    Doch der Bettler machte keinerlei Anstalten, sich wieder zu erheben. Seelenruhig zog er mit seinem knorrigen Zeigefinger die Fugen des Mauerwerks nach und lutschte dann den an seiner Fingerkuppe hängen gebliebenen Dreck ab. »Köstlich«, murmelte er, die wulstigen Lippen

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