Nacht aus Rauch und Nebel
den Adamsapfel rieb, über mir. Mit der Rechten verpasste er mir einen Haken in die Magengrube.
Ich keuchte auf.
Der Bettler beugte sich weiter über mich. »Der Fürst wird außer sich sein, über Ihre Tat und darüber, wie leichtsinnig Sie waren, Prinzessin. Den Kanzler, Ihren Vater und sogar sich selbst haben Sie mit Ihrem Anschlag in Gefahr gebracht. Ganz zu schweigen von all den Menschen auf dem Platz. So viele hätten verletzt werden können.«
Er seufzte, während ich mich unter ihm krümmte. Beiläufig griff er mit Daumen und Zeigefinger um mein Schlüsselbein. In meiner Schulter explodierte ein alles übertönender Schmerz. Gegen meinen Willen schluchzte ich laut auf.
»Genug jetzt«, ertönte in diesem Moment eine andere Stimme. Verschwommen erkannte ich, wie sich eine Gestalt mit einem Picknickkorb unter dem Arm durch das Fenster schob.
»Prinzessin!«, begrüßte mich der Eiserne Kanzler. Mit einem Wink bedeutete er Barnabas, uns allein zu lassen. Er trug eine bestickte Jacke, unter der blütenweiße Manschetten hervorlugten, das Haar wurde von einer dunklen Seidenschleife zusammengehalten. Dass er gerade meinen Vater aus einem einstürzenden Gebäude gerettet hatte, sah man ihm nicht im Geringsten an.
Er wartete, bis der Bettler den Raum verlassen hatte, dann öffnete er den Korb und entnahm ihm eine karierte Decke, die er auf dem Fußboden ausbreitete und mit seinen schlanken Jungenhänden glatt strich. Ein Funkeln lag in seinen Augen.
»Ich habe mir erlaubt, eine Kleinigkeit für uns vorzubereiten«, erklärte er und ließ sich in einen Schneidersitz gleiten. Das grauweiße Muster der Decke passte hervorragend zur Farbgebung seiner Kniebundhosen. »Gerade habe ich Ihrem Vater erläutert, was Sie getan haben, und nun wollte ich noch rasch nach Ihnen sehen.« Er klopfte auf den Stoff neben sich. »Bitte, setzen Sie sich doch.«
Ich blieb, wo ich war, rieb vorsichtig über mein schmerzendes Schlüsselbein und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Kälte erfüllte jede Faser meines Körpers.
Der Kanzler lächelte. Ohne den Blick von mir zu wenden, förderte er eine Flasche Champagner, zwei Gläser, eine Schale mit gräulichen Weintrauben und eine Platte mit gammelig aussehenden Häppchen aus den Tiefen des Korbs zutage. »Ich weiß, wir sind beide nicht gerade gut aufeinander zu sprechen. Aber bitte, trinken Sie einen Schluck mit mir.«
Das Knallen des Korkens ließ das Eis in meinem Innern explodieren. Der Kanzler war gerade dabei, das erste der beiden Gläser zu füllen, da war ich schon bei ihm, holte aus und schlug ihm die Flasche aus der Hand. Sie zerschellte auf dem Fußboden. Glassplitter flogen durch die Luft. Champagner spritzte und besprenkelte unsere Kleidung.
Der Kanzler lachte. »Temperamentvoll wie eh und je.« Er leckte eine Champagnerperle von seinem Handrücken.
»Sind Sie gekommen, um Ihren Triumph zu feiern?«
Er nickte. »Nein«, sagte er, griff sich eine farblose Pastete von der Platte und biss hinein. Die graue Masse, die mich an verrottete Leberwurst erinnerte, quoll über seine Lippen. In aller Ruhe fuhr er mit der Zunge über die Bröckchen in seinem Mundwinkel.
Eine Gänsehaut kroch über meinen Nacken und ich wusste nicht so recht, ob es daran lag, dass der Kanzler freiwillig Schattenweltnahrung zu sich nahm, obwohl diese nach Schimmel und Vergorenem schmeckte, oder schlicht an dem traurigen Lächeln, mit dem er mich nun bedachte. Noch immer hockte er im Schneidersitz auf seiner Picknickdecke, ab und an wippte er mit den Zehen, wie ein Teenager, dem es schwerfiel, ruhig sitzen zu bleiben. Überhaupt wirkte er heute so jung wie seit Wochen nicht mehr. Da war sogar eine Locke, die sich aus seinem Zopf gelöst haben musste: Er hatte sie nachlässig hinter sein Ohr geklemmt.
Ich durchquerte den Raum mit langen Schritten und stellte mich ans Fenster. »Was wollen Sie dann?«, warf ich ihm über die Schulter zu. Mittlerweile war ich so zornig, dass meine zu Fäusten geballten Hände zitterten. Der Kanzler trat neben mich. »Nun seien Sie doch nicht so! Ich habe sicherheitshalber eine zweite Flasche mitgebracht«, säuselte er in mein Ohr. »So ist das nun mal. Als Sie den Weißen Löwen verbargen, haben Sie gewonnen, und nun kann ich einen Sieg für mich verbuchen. Wissen Sie, als ich neulich im Palast die Blaupausen der Pyramiden einsah und Ihrem Vater den Umbau vorschlug, habe ich gleich geahnt, dass sich das Projekt lohnen würde. In vielerlei Hinsicht. Zum
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