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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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so nah schlugen sie neben meinem Gesicht in das Mauerwerk ein.
    Der Reiter lächelte.
     
    Dieses Mal brachte man mich nicht zum Palast. Wir flogen weit über das Stadtgebiet. Hausdächer, Türme, Plätze, Denkmäler glitten unter mir hinweg, während ich bäuchlings auf dem Hals des Pferdes lag, verschnürt wie ein Paket und unfähig, mich zu rühren. Zuerst befürchtete ich, die Biester würden mich mit sich in ihren Horst in Dunsterrost nehmen, doch allmählich erkannte ich, dass auch dies nicht die Richtung war, die meine Entführer einschlugen.
    Stattdessen hielt die geflügelte Armee auf einen der südöstlichen Stadtteile zu, dessen Name mir entfallen war. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals dort gewesen zu sein. Dennoch kamen mir die Bauwerke bekannt vor. Zum Beispiel waren da die geduckten Hütten eines Nomadendorfes und ein Wolkenkratzer, der verdächtige Ähnlichkeit mit dem Empire State Building hatte. Dazwischen standen Einfamilienhäuser mit Vorgärtchen. Das Viertel kam mir merkwürdig vor. Zwar wirkte es auf den ersten Blick unbelebt, genauso wie viele Teile Eisenheims, dennoch strahlte es gleichzeitig etwas weitaus Lebendigeres aus. Die Gebäude wirkten gepflegter, nicht so prunkvoll wie die der reichen Leute an der Rue Monsieur le Coq, aber ordentlich und einladend. Hinter den Fenstern hingen Gardinen, auf einer Dachterrasse bildeten farblose Palmen einen kleinen Dschungel und hinter einem lang gezogenen Bau, der mich an ein Krankenhaus erinnerte, gab es sogar einen Kinderspielplatz!
    Je mehr ich von diesem Stadtteil sah, umso verwirrter wurde ich. Was hatten die Schattenreiter vor? Warum hatte der Kanzler sie geschickt und wohin sollten sie mich nun bringen? Wieder und wieder kehrten meine Gedanken zu den zerstörten Pyramiden zurück. Noch immer konnte ich mir keinen Reim auf das Geschehene machen. Doch inzwischen war ich fest davon überzeugt, dass der Kanzler seine Finger im Spiel hatte.
    Ich stockte, als unmittelbar vor uns zwei Türme aus der Finsternis ragten, über und über bedeckt mit gotischen Verzierungen. Sie gehörten zu einem schattenhaften Abbild des Kölner Doms, doch das war nicht der Grund, warum ihr Anblick mich erschaudern ließ. Dafür sorgte eine Erinnerung, die mich durchzuckte. Die Erinnerung an viele, viele Jahre, die meine Seele hier verbracht hatte. Es wunderte mich plötzlich nicht mehr im Geringsten, dass wir unmittelbar auf den linken der beiden Türme zuhielten, denn dies war der Ort der Kindheit meines anderen Ichs. Dies war der Turm, in dem meine Eltern meine Seele vor der Schattenwelt verborgen gehalten hatten, und beinahe freute ich mich, ihn wiederzusehen, auch wenn er mehr ein Gefängnis als ein Heim gewesen sein musste. Wäre da bloß nicht dieses ungute Gefühl gewesen, das an mir nagte, und die Tatsache, dass es die Schergen des Eisernen Kanzlers waren, die mich herbrachten.
    Das Schattenpferd landete für die Dauer eines Wimpernschlags auf einem der Fenstersimse, gerade lang genug, dass der zuckende Reiter mich packen und durch das Fenster ins Innere des Turms werfen konnte. Unsanft prallte ich auf den Fußboden. Da ich noch immer gefesselt war, hatte ich keine Möglichkeit, mich mit den Armen abzufangen. Stattdessen schürfte ich mir die Nase an dem rauen Stein auf. Ein brennender Schmerz breitete sich in meinem Gesicht aus und trieb mir die Tränen in die Augen. Na toll! Hoffentlich hatte ich mir nichts gebrochen! Ich unterdrückte ein Schluchzen und rollte mich auf den Rücken. Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen und atmete tief durch. Fast hätte ich dem Bedürfnis loszuheulen nachgegeben, dann riss ich mich aber doch noch zusammen. Die alte Flora wäre vielleicht verzagt liegen geblieben, doch diese alte Flora aus Verantwortungsbewusstsein und der Angst, etwas falsch zu machen, hatte ich schon vor Wochen begonnen abzustreifen wie eine zu klein gewordene Schlangenhaut.
    Mit gefesselten Händen und Füßen robbte ich wie eine Raupe so lange rückwärts, bis ich mit dem Kopf gegen etwas stieß, was sich wie eine Wand anfühlte. Langsam schob ich mich Zentimeter für Zentimeter in die Höhe. Schließlich erreichte ich eine halbwegs sitzende Position, in der ich verharrte, um mich zu orientieren.
    Ich befand mich in meinem alten Kinderzimmer. In der einen Ecke des Raumes erkannte ich mein Himmelbett, auf dessen Bezüge graue und schwarze von Silberfäden durchzogene Krönchen gestickt waren. Außerdem gab es einen Schreibtisch voller

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