Nacht aus Rauch und Nebel
sich meine Lider.
16
LÖCHER IM NICHTS
Die darauffolgende Nacht begann unspektakulär. Wie schon die ganze Woche über schob sich die Nebelkönigin durch die endlosen Weiten des Nichts. Träge hingen wir in unseren Kojen, sogar der Großmeister döste vor sich hin, als es schließlich geschah: Zuerst war es ein feines Vibrieren, das den Boden überzog und sich langsam über die Wände hinauf zu unseren Betten und in unsere Magengruben wand. Dann folgte ein schabendes Geräusch, als schrappe die Nebelkönigin über felsigen Untergrund. Schließlich kam das Schiff mit einem Ruck zum Stehen, der so heftig war, dass er uns aus den Betten warf. Ich versuchte noch, mich am Eckpfosten meiner Koje festzuhalten, doch es gelang mir nicht. Im hohen Bogen schleuderte mich der Aufprall aus meinen Decken. Ich segelte geradewegs auf das Schaltpult im Bug zu und landete krachend auf Knöpfen und Tasten. Einer der Schaltknüppel zerbrach unter meinem Gewicht, als wenig später Amadé auf meinem Bauch landete und mir die Luft abdrückte. Ich keuchte auf.
Marian war der Erste, der wieder auf die Beine kam. Er befreite den Großmeister, der von mehreren Stühlen eingekeilt worden war, während ich Amadé von mir herunterschubste und mir den Rücken rieb.
»Was war das?«, fragte Amadé und durchbohrte mich mit ihrem Blick, als sei ich verantwortlich für das, was auch immer da gerade passiert war.
Ich hob eine Augenbraue. »Woher soll ich das wissen?«
Sie schnaubte.
»Beim Barte des Desiderius!«, entfuhr es in diesem Moment Fluvius Grindeaut, der sein Gesicht inzwischen an eines der Bullaugen presste. Gleichzeitig stürzten Amadé, Marian und ich zu ihm hinüber. Ich rieb mir mit den Händen über Mund und Nase.
Wir waren tatsächlich auf Grund gelaufen! Um uns herum hatte sich das Nichts gelichtet, links und rechts von uns war es zurückgewichen und hatte etwas freigegeben, was … nicht Eisenheim war\ Also stimmte es: Es gab Löcher im Nichts. Und anscheinend waren diese Löcher sogar ziemlich groß.
Die Nebelkönigin jedenfalls war nicht einfach nur an einem Felsbrocken hängen geblieben. Soweit ich es von hier aus sehen konnte, hingen wir am Gipfel eines Berges fest und dieser Berg war Teil einer ganzen Gebirgskette! Unser Schiff schaukelte in einem Meer aus schneebedeckten Gipfeln, über denen sich derselbe lichtlose Himmel wie über Eisenheim wölbte. Doch die Bauwerke, die winzig wie von einer Modelleisenbahn im fernen Tal hockten, sahen ganz anders aus als die, die ich aus Eisenheim kannte. Auch sie waren farblos, doch die Architektur wirkte viel archaischer. Ich kniff die Augen zusammen, aber das half kaum, die Häuser besser zu erkennen. Uns trennten sicher mehrere Hundert Meter vom tiefsten Punkt des Talkessels. Überdeutlich wurde mir das Schwanken der Nebelkönigin bewusst, die sich unablässig vor- und zurückwiegte. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, was geschah, wenn wir unser Gewicht verlagerten.
Wie sich herausstellte, war das aber auch gar nicht notwendig, denn schon wenige Sekunden später kippten wir vornüber. Zuerst senkte sich die Nase des Schiffs nur gemächlich, dann rascher. Ein Knirschen ertönte, als sich der Rumpf vom Berggipfel löste. Dann rauschten wir in die Tiefe.
Mein eigenes Kreischen gellte mir in den Ohren. Ich krallte mich in Marians Oberarm, der neben mir bäuchlings auf dem lag, was vorhin noch eine senkrechte Wand gewesen war. Dieses Mal war es der Großmeister, der auf das Schaltpult zustürzte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sein heller Bart durch die Luft wirbelte. Eine leere Schnapsflasche zerschellte über meiner Koje. Die Nebelkönigin holperte immer weiter über Spalten und Kanten im Fels, was unseren Fall zwar abbremste, aber der Außenhaut des Schiffes nicht gerade guttat.
Amadé schrie.
Etwas zu meiner Linken schlug Funken. Im Laderraum donnerte es und ich barg mein Gesicht an Marians Schulter. Doch der befreite sich aus meinem Griff.
»Brauchen Sie Hilfe?«, brüllte er gegen das Schaben des Gesteins an.
»Wir müssen die Energiezufuhr umlenken«, schrie der Großmeister. Seine Stimme klang bröselig.
Marian verschwand aus meinem Blickfeld. Ein Ruck ging durch das Schiff und ich verlor den Halt, fiel nach hinten. Amadés Koffer schoss durch die Kabine direkt auf mich zu. Es gelang mir gerade noch, mich zur Seite zu werfen. Da fanden meine Hände endlich Halt an einem der Bettpfosten. Ich klammerte mich daran, bis unser Sturz allmählich langsamer wurde und
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