Nacht aus Rauch und Nebel
seufzte und ruckte stattdessen mit dem Kinn in Richtung Lagerraum. »Können wir uns kurz unterhalten?«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Denn während mich die Grippe heimgesucht hatte, war mir eine Erkenntnis gekommen, die ich gern mit ihm besprechen wollte. Ein Hinweis, bei dem ich mich ernsthaft fragte, warum er mir nicht früher aufgefallen war.
»Geht nur, ihr beiden. Ich muss mich ohnehin konzentrieren«, sagte der Großmeister, der anscheinend besser verstand, was ich meinte.
Ich packte Marian kurz entschlossen beim Zipfel seines Pullovers und zog ihn mit mir in den angrenzenden Lagerraum. Lautlos schloss sich die Schiebetür hinter uns, die diese beiden Bereiche des Schiffes voneinander abtrennte. Zwielicht verschluckte uns, sodass ich die steile Falte, die sich zwischen Marians Augenbrauen gebildet hatte, lediglich erahnte.
»Was weißt du über die Dame?«, fragte ich.
Marian antwortete nicht gleich. Wir standen dicht beieinander in dem schmalen Gang zwischen Kistenstapeln und Fässern voller Chemikalien, an dessen Ende sich Ylvas fensterlose Kutsche in eine Ecke drängte. Gedankenverloren zwirbelte Marian eine meiner Haarsträhnen um seinen linken Zeigefinger.
»Nicht besonders viel«, sagte er schließlich. »Sie hält ihre Identität geheim, lebt beim Grauen Bund und verfolgt dich anscheinend, wenn ihr der Sinn danach steht. Warum fragst du?«
»Mhm.« Ich spitzte die Lippen. Mit den Händen ertastete ich hinter mir die vorstehende Kante einer Kiste und hielt mich daran fest. Irgendwie half mir der Widerstand in meinem Rücken, meine Gedanken zu sortieren. »Mir sind ein paar Dinge klar geworden«, begann ich. »Als neulich in mein Zimmer eingebrochen wurde, habe ich in dem ganzen Durcheinander einen Stofffetzen gefunden. Ein Stück schwarze Spitze, vermutlich stammt sie von der Kleidung des Eindringlings. Ich hatte sie in meinem Nachttischchen verstaut und dort vergessen, bis wir die Dame vor ein paar Tagen in deinem Keller gestellt haben. Hast du dir mal ihre Outfits angesehen?«
Marian nickte. »Sie trägt grundsätzlich Schwarz. Manchmal hat sie einen Seidenschleier vor dem Gesicht.«
»Ganz genau.« Ich schenkte ihm einen triumphierenden Blick, doch Marian zuckte nur mit den Achseln.
»Tja«, sagte er. »Dann gehen wir also davon aus, dass es die Dame war, die in deinem Zimmer nach irgendetwas gesucht hat. Ich wusste bisher nichts von dem Stofffetzen. So überraschend finde ich den Zusammenhang allerdings nicht. Es ist doch naheliegend, dass derjenige, der dich schon seit Wochen verfolgt, identisch ist mit dem, der bei dir einbricht.«
»Ja«, gab ich zu. »Darauf hätten wir früher kommen können. Aber mir ist noch etwas aufgefallen.« Ohne es zu wollen, senkte ich meine Stimme zu einem Flüstern. »Ich glaube, sie folgt mir nun auch in dieser Welt. Sie läuft durch das Nichts!«
Marian hob die Brauen. »Wie kommst du darauf?«
»Ich habe sie gesehen.«
» Hier?«
Mein Mundwinkel zuckte. »Ihre Hand war vor einem der Fenster. Anscheinend kann es ihr nichts anhaben, sie wandert durch das Nichts, zusammen mit den merkwürdigen Wesen.« Ich schluckte den plötzlichen Kloß in meiner Kehle herunter. »Zusammen mit den Dämonen.«
»Du hattest hohes Fieber, Flora. Niemand kann dort draußen überleben. Das kann nicht sein.« Marian schüttelte beinahe schon aggressiv den Kopf, schob mich zur Seite und hebelte den Deckel der Kiste auf, an der ich mich gerade noch festgeklammert hatte. Zum Vorschein kam Stoff, ein schwärzlich glänzendes Gewebe, das sich in ständigem Fluss zu befinden schien. Marian entfaltete es zu einer Art Taucheranzug, dann fischte er einen gigantischen Kugelhelm aus der Kiste. » Damit könnte man vielleicht einen Fuß vor die Türen der Nebelkönigin setzen«, erklärte er. »Allerdings ist es bisher noch nicht erprobt worden. Daher würde ich auch das nicht empfehlen.«
Ich starrte auf den Anzug in seinen Händen. »Ich weiß ja auch, dass es unmöglich ist«, sagte ich. »Aber schon bevor ich krank war, habe ich etwas gesehen. Maschinenteile oder so etwas. Erinnerst du dich nicht, wie ich euch zu mir ans Fenster gerufen habe?« Mit einem Mal war ich mir selbst nicht mehr sicher. Hatte das Nichts meinen Verstand bereits in seinen nebligen Klauen? War meine Seele so schwach?
Marian öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. In diesem Moment jedoch ging ein heftiger Ruck durch die Kutsche am anderen Ende des Raumes. Ihm folgte ein zorniges
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