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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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wir schließlich etwa zwanzig Meter über den Dächern der fremden Stadt in der Luft stehen blieben.
    Schweißperlen rannen mir über die Stirn, meine Knie zitterten. »Wo sind wir?«, flüsterte ich.
    Die Nebelkönigin hatte ihre Flossen wieder eingeklappt und ihre Antriebsart erneut umgestellt. Lautlos klebten wir am finsteren Himmel, unsere Scheinwerfer warfen Kegel aus Helligkeit auf Dächer und Schornsteine, als wären es Überreste längst versunkener Welten und wir auf Tauchfahrt in einem U-Boot.
    »Wenn mich nicht alles täuscht«, sagte der Großmeister, »dann ist das der Schlund.«
    Der Schlund, der zu Eisenheim gehört hatte? Das mysteriöse Viertel, das einst verschwunden war? Meinte er das ernst? Ich schüttelte den Kopf. »Also hat das Nichts die anderen Stadtteile gar nicht zerstört, sondern nur … abgebissen?«
    »Es ist zu früh für derartige Aussagen«, erklärte Fluvius Grindeaut. »Aber möglich wäre es.« Er strich sich über den Bart und zwirbelte dessen Spitze um seinen Zeigefinger. »Das alles ist höchst interessant«, murmelte er. »Als hätte das Nichts die Materie der früheren Stadtteile verschoben und aufeinandergeschichtet wie Sedimente. Höchst interessant.« Wie durch ein Wunder hatte die andere Schnapsflasche in seiner Manteltasche unsere halsbrecherische Talfahrt überlebt. Mit einer fahrigen Bewegung löste er ihren Verschluss und genehmigte sich einen Schluck. »Wir sollten eine Erkundungstour machen.«
    »Ist das denn nicht zu gefährlich?«, fragte Amadé. »Das Nichts ist schließlich so nah!«
    »Das ist es in Eisenheim doch auch«, sagte ich. Aus irgendeinem Grund brannte ich geradezu darauf, auszusteigen und mir den angeblich verlorenen Teil Eisenheims anzusehen. Ob hier noch Menschen lebten? Schon näherte ich mich der Tür. »Ich wusste gar nicht, dass um den Schlund herum Berge waren.«
    Marian legte seine Hand auf meinen Unterarm und hielt mich zurück. »Die gab es früher auch nicht, als er noch zur Stadt gehörte. Anscheinend hat das Nichts mit den Jahren mehr und mehr Materie rund um ihn herum angehäuft«, mutmaßte er.
    Fluvius Grindeaut gab ein zustimmendes Brummen von sich, während er schon wieder eifrig auf seiner Karte herumkritzelte.
    »Jedenfalls sollten wir erst einmal herausfinden, ob es da draußen überhaupt Sauerstoff gibt, bevor wir alle Schotten aufreißen«, sagte Marian.
    »Oh ja, allerdings.« Der Großmeister leerte die noch zu etwa einem Viertel gefüllte Flasche in einem Zug, dann beugte er sich über seine Messgeräte.
    Eine Viertelstunde später tat ich, was ich schon die ganze Zeit über hatte tun wollen: Ich löste die Verriegelung der hydraulischen Klappe zu meiner Linken und stieß sie auf. Sofort schwebte ein Schwall eisiger Nachtluft herein, der sich so problemlos atmen ließ, wie der Großmeister es vorausgesagt hatte. Inzwischen hatte dieser uns noch ein Stück weiter in Richtung Boden manövriert und die Nebelkönigin auf einem Platz voller kopfloser Statuen geparkt. Ohne zu zögern, sprang ich auf das Pflaster hinab, dicht gefolgt von Amadé, Marian und einem leicht taumelnden Fluvius Grindeaut.
    Vor uns ragte das Kolosseum auf. Dahinter erkannte ich in der Ferne die Silhouette von etwas, das einer Tempelanlage der Azteken verdammt ähnlich sah. Wir schlugen blindlings eine der Straßen ein, die von dem Platz vor dem Kolosseum abgingen. Sieben tauchte die Szenerie in ein unwirkliches Glimmen.
    »Das ist der Schlund. Ja, das ist er«, murmelte Fluvius Grindeaut immer wieder, während wir uns tiefer in das Dickicht der Gassen vorwagten.
    Etwa eine halbe Stunde lang wanderten wir durch das verlorene Viertel und die ganze Zeit über begegneten wir nicht einer Menschenseele. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass wir nicht allein waren in dieser gespenstischen Stille, die uns aus jeder Mauerritze entgegendröhnte. Irgendetwas verursachte einen Knoten in meiner Magengegend. Vielleicht weil es zu still war? Selbst die Geräusche unserer eigenen Schritte schienen die Straßen zu verschlucken, als würden wir uns durch eine Traumwelt bewegen. War das hier am Ende nur ein Trugbild? Hatte das Nichts uns damit hinausgelockt aus unserem Schiff, hinein ins Verderben? Im Vorbeigehen ließ ich meine Finger über verwitterten Stein streichen. Er fühlte sich kühl und spröde an, genau wie echter Stein.
    Irgendwann erreichten wir ein gigantisches Viadukt, unter dem sich eine Reihe Hunnengräber duckte. Dazwischen standen kreisrunde Nomadenhütten.

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