Nacht aus Rauch und Nebel
entgegenschoben, tanzende Schlieren, die sich bis in die Tiefen meiner Lunge hineinfädelten. Ich bekam einen Hustenanfall.
Auch Amadé und Fluvius Grindeaut hinter mir keuchten auf, als die Wolke sie erreichte. Als wäre sie seit Ewigkeiten in der Hütte gefangen gewesen, drängte die staubige Luft nach draußen und in den Nachthimmel hinauf. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war sie verschwunden und Siebens Licht bahnte sich weiter seinen Weg durch die Finsternis.
Endlich konnte ich Einzelheiten ausmachen. Zum Beispiel war da ein winziger Hocker, auf dem ein Tonkrug stand, aus dessen Öffnung sich ein hauchdünner Rauchfaden zur Decke hinaufschlängelte. Dahinter lag ein Haufen aus weiteren Fellen, dazwischen Lumpen und die bleichen Knochen kleiner Tiere. An einer Leine, die von einer Seite zur anderen durch den Raum gespannt worden war, baumelten merkwürdige Gerätschaften, ein Zirkel, etwas, das ich für eine Lupe hielt, seltsam gebogene Löffel und Bündel getrockneter Kräuter.
Vorsichtig trat ich ein. Das Röcheln war noch immer da. Es klang verschleimt und ziemlich ungesund. Doch wer verursachte es?
»Hallo?«, flüsterte ich. »Ist hier jemand?«
Mein Blick hing an dem Rauchfaden, der bei meinen Worten erzitterte und sich kaum merklich verformte. Trotzdem erinnerte ich mich bei seinem Anblick unwillkürlich an die merkwürdigen Gestalten, die ich vor einigen Nächten draußen im Nichts gesehen hatte. Gesichtslose Geister mit dürren Fingern und wehendem Haar. Auch sie hatten ausgesehen, als bestünden sie aus Rauch und Asche.
Das Röcheln erstarb für einen Augenblick.
»Hallo?«, wiederholte ich, dieses Mal ein wenig lauter.
Ein Zittern durchlief den Fellhaufen an der Wand, dann gerieten die Decken in Bewegung. Stofffetzen wellten sich, Leder schabte über Haar. Finger wie Spinnenbeine wühlten sich ins Freie. Ich kniff die Augen zusammen, doch es waren tatsächlich menschliche Hände, die sich zwischen den Fellen hervorschoben. Von Altersflecken übersäte Haut, dünn wie Pergament.
»Br-brauchen Sie Hilfe?«, stotterte ich.
Das Röcheln setzte wieder ein. Als Nächstes kam weißliches Haar zum Vorschein, lang und verfilzt, dazwischen von schwarzen Adern durchzogene Kopfhaut, durchscheinende Lider, unter denen sich dunkle Pupillen bewegten. Und ein zerzauster, schmutziger Bart.
Die Zeit schien stillzustehen, während sich der alte Mann aus seinen Decken schälte. Erst nach einer halben Ewigkeit hatte sich seine magere Gestalt freigekämpft. Er schlug die Augen so zögerlich auf, als habe er sie seit Jahren nicht mehr benutzt. Speichel rann in einem schmalen Rinnsal aus seinem Mundwinkel und sickerte durch seinen Bart in die Reste dessen, was einmal seine Kleidung gewesen war, nun aber nur noch in Fetzen von seinem Körper hing. Seine Pupillen saßen wie glänzende Käfer in den Höhlen. Er schmatzte vernehmlich und musterte mich mit zusammengezogenen Brauen.
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie geweckt habe«, sagte ich. »Ich heiße Flora Gerstmann und ich bin auf der Suche nach einem Mann namens Desiderius, der –«
»Das ist er«, lallte Fluvius Grindeaut in diesem Moment und drängte sich an mir vorbei. Tränen schimmerten in seinen Augen, als er vor dem Alten in die Hocke ging und nach seiner Hand griff. »Mein lieber Freund.«
Der Angesprochene zuckte zurück und krümmte die Finger mit den viel zu langen Nägeln zu Krallen, als wolle er sich verteidigen. Dann legte er den Kopf in den Nacken und stieß einen kehligen Laut aus.
Ich zuckte zusammen. Hatte er etwa so lange ohne menschliche Gesellschaft gelebt, dass er unsere Sprache und unsere Umgangsformen vergessen hatte?
Der Großmeister jedenfalls ließ sich nicht beirren. Noch einmal ergriff er die Hand des Alten und sah ihm fest in die Augen. »Ich bin es, Fluvius Grindeaut. Erkennst du mich denn nicht mehr?«
»Flu–« Desiderius hustete. Schleimbröckchen flogen durch die Luft und Amadé und ich wichen angeekelt zurück.
Der Großmeister hingegen lächelte. »Ja«, sagte er. »Weißt du es wieder?«
»Fluvius!«, murmelte Desiderius. Seine Stimme raschelte, als hätte er sie lange nicht mehr benutzt. »Hier?« Seine dürren Arme fuchtelten in der Luft herum, deuteten auf die Wände der Hütte und das, was dahinterlag.
»Wir sind gekommen, um dich zurückzuholen. Wie viele Jahre hast du hier allein verbracht? Vierzig? Komm mit uns, wir bringen dich nach Hause.«
Desiderius sabberte. »Nicht allein«, stieß er heiser
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