Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
Vom Netzwerk:
Grollen. Krallen schabten an den Wänden entlang, das Gefängnis erzitterte. Ylva musste eingeschlafen sein. Ihre Seele war zurückgekehrt.
    Marian schloss für einen Augenblick die Augen und kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel. »Tut mir leid, ich bin seit Tagen völlig übermüdet«, murmelte er.
    Ich legte meine Hand auf seinen Unterarm. Obwohl die Geräusche schrecklich waren, lag zugleich auch ein feines Singen in der Luft, das mich umschmeichelte und nach mir rief. Denn zusammen mit Ylvas Seele befand sich auch das Materiophon in der Kutsche, jene Maschine, die einst einen Splitter des Weißen Löwen beherbergt hatte, bevor der Kanzler ihn an sich nahm, um noch mehr Schattenreiter für die reale Welt manipulieren zu können. Ich spürte die Aura des Splitters, die über der Maschine und dem Monster lag, das daran gebunden war.
    »Ist ja gut«, rief ich Ylvas Seele zu. »Alles wird gut.« Tatsächlich verwandelten sich die Worte in jenen seltsamen Singsang, den ich bis vor Kurzem für Finnisch gehalten hatte. Das Monster wurde ein wenig ruhiger. Ich verspürte den Drang, näher heranzugehen, meine Wange an die Kutsche zu schmiegen und Ylva eine Geschichte aus ihrer Heimat zu erzählen, eine Geschichte darüber, wer sie in Wirklichkeit war. Über das Mädchen, das sich unter viel zu vielen Schals und Pullovern verbarg. Meine Füße zuckten.
    Doch der Mann neben mir brauchte mich mehr und so blieb ich bei Marian, nahm sein Gesicht in meine Hände und versuchte, den Schmerz von seinen Zügen zu wischen. Er hielt die Augen auch weiterhin geschlossen.
    »Nicht mehr lange«, murmelte ich und fuhr mit den Fingerspitzen die Linie seiner Brauen nach. »Bald wird sie frei sein. Wenn wir erst eines von diesen Löchern im Nichts gefunden haben, dann trennen wir die Verbindung zwischen ihr und der Maschine, genau wie du es geplant hast. Vielleicht können wir es schon morgen probieren.«
    Marian schwieg. Der harte Zug um seinen Mund verschwand nicht, im Gegenteil. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Marian presste die Kiefer so fest aufeinander, dass seine Zähne knirschten. Mit einem Ruck befreite er sein Gesicht aus meinen Händen. »Was ist los?«, rief ich. »Was –«
    Er schien mich überhaupt nicht mehr wahrzunehmen, starrte an mir vorbei. Er bebte am ganzen Körper. Verdammt. Irgendetwas musste ich tun, irgendwie zu ihm durchdringen. Sollte ich den Großmeister alarmieren oder … Hilflos schlang ich die Arme um Marian und hielt ihn so fest umklammert, dass es wehtat. Ich spürte, dass er mich von sich stoßen wollte. Aber er tat es nicht. Seine Finger krallten sich in meinen Rücken. Gemeinsam warteten wir, während das Zittern nach und nach schwächer wurde, sich zurückzog in den dunklen Winkel in Marians Innerem, aus dem es hervorgebrochen war. Eine halbe Ewigkeit lang standen wir so da.
    Irgendwann fand Marian die Sprache wieder. »Sie wird niemals gesund werden«, sagte er tonlos. Sein Mund lag an meiner Halsbeuge. »Wir können sie von der Maschine befreien, aber sie bleibt ein Monster. Ich habe diesen Gedanken zu verdrängen versucht, Flora. Weil ich ihn hasse. Ich hasse ihn dafür, dass er wahr ist.«
    »Aber … es wird ihr doch besser gehen, wenn sie erst frei ist. Vielleicht legt sich ihr Zorn dann. Auch als Monster könnte sie doch vielleicht ein glückliches Leben in der Schattenwelt führen, oder nicht?«
    Marian antwortete nicht. Doch ein Nein hing überdeutlich in der Luft zwischen uns. Ich fragte mich, wieso ich es so lange nicht bemerkt hatte. Anscheinend hatte mich meine Euphorie blind und taub und dumm werden lassen. So sehr hatte ich mich an den winzigen Hoffnungsfunken geklammert, dass nun alles gut werden würde, dass mir überhaupt nicht aufgefallen war, wie trügerisch dieser Funken war.
    Ich strich über Marians Haar und drehte den Kopf zur Seite, bis meine Stirn an seiner lag. Dann holte ich tief Luft. »Wir brauchen also den Weißen Löwen«, sagte ich und sah ihm nun direkt in die glasharten Augen. »Es gibt gar keine andere Möglichkeit, Ylva zu retten, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte er. »So ist es.«
    Jetzt war ich diejenige, die schwieg.
    Marian blinzelte. »Wenn wir nur wüssten, wie wir ihn wiederbekommen könnten«, sagte er und ich hatte den Eindruck, dass der Blick, mit dem er mich musterte, noch eine Spur intensiver wurde, als wolle er zum Grund meiner Seele vordringen.
    Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, senkten

Weitere Kostenlose Bücher