Nacht der Dämonen
Gottessohn die göttlichen Kräfte erhalten geblieben waren. Und so wanderte, nach ihrer Meinung, ein zorniger junger Gott mit ungeheuren Kräften durch die Welt, auf Rache gegen seinen Vater sinnend, der für ihn unerreichbar war. Vielleicht wandte dieser zornige junge Gott, da er seinem Vater nichts anhaben konnte, diese Kräfte gegen die Menschheit an, unter der zu leben er gezwungen war?
Sonja schenkte dieser und ähnlichen Legenden, die sie auf ihren Reisen hörte, selten Glauben – dagegen sprachen ihre Erfahrungen und ihr Verstand. Aber jetzt, nach Saurebs Beweis seiner schrecklichen Kräfte, fragte sie sich, ob in der Legende vom zornigen Gottessohn nicht doch eine Spur Wahrheit steckte.
Die Sonne stand hoch am Morgenhimmel, die grauen Wolken hatten sich verzogen. Steppenvögel krächzten. Insekten summten, denn für sie war das flüchtige Bersten des Stoffes, aus dem die Erde gemacht war, von keiner Bedeutung – beispiellos vielleicht, doch außerhalb ihres Begriffsvermögens.
Saureb ruhte in der Höhle auf seiner Lagerstatt, mit geschlossenen Augen, kaum merklich atmend und mit hin und wieder zuckenden Gliedmaßen. Völlig erschöpft lag er – der Zauber hatte ihn seine Kräfte gekostet – und ohne diese erschreckende Aura des Unirdischen um sich.
Sonja und Tiamu saßen beisammen. Sie sprachen nicht, hingen jedoch denselben Gedanken nach. Vom Fuß des Berges konnten sie das Schreien und Wimmern der verwundeten Zamorier hören. Tiamu schluchzte plötzlich und zitterte, kämpfte aber schnell um ihre Fassung. Sonjas Herz schien zu Eis zu werden, als sie auf den nun hilflosen Saureb blickte – doch nicht seiner Taten wegen; es war die verständliche Reaktion eines Menschen, der sich etwas Unmenschlichem gegenübersieht. Saurebs Tat hatte sie bis ins Innerste erschüttert. Nicht zum ersten Mal war sie Zauberei begegnet; auch gekämpft hatte sie nicht nur einmal gegen Zauberei. Doch von Saureb hatte sie sich angezogen gefühlt. Seine Worte hatten ihr verraten, dass er der Wahrheit auf den Grund gegangen war. Und nun hatte er sich als Zauberer erwiesen, der zu Wahnsinnstaten fähig war. Zwar mochte sie noch seine Kräfte bewundern, doch Freund konnte sie ihn nicht mehr nennen.
Nach und nach füllte Sonnenschein die Höhle. Der Zauberer setzte die Füße schwerfällig auf den Boden, hielt einen Moment an, dann richtete er sich etwas zittrig auf. In seinen Augen war die gelbe Flamme erloschen.
Sonja beobachtete ihn wachsam.
Saureb benahm sich, als wäre ihm die Anwesenheit der beiden Mädchen überhaupt nicht bewusst. Immer noch erschöpft schlurfte er zum Tisch, setzte sich nieder, schenkte sich Wein ein, trank ihn und biss in einen Apfel. Als offenbar ein wenig seiner Kraft zurückkehrte, richtete er sich auf, drehte sich um, und sein Blick fiel auf Sonja und Tiamu, aber ihm war nicht anzumerken, dass er sie erkannte. Wortlos durchquerte er die Höhle und verschwand in den inneren Kammern seines ungewöhnlichen Zuhauses.
Sonja und Tiamu blickten ihm nach. Als er sie nicht mehr hören konnte, fragte Tiamu leise: »Wollen wir versuchen zu fliehen?« Erstaunlicherweise klang ihre Stimme nicht ängstlich.
»Fliehen?« Sonja schüttelte den Kopf. »Warum denn? Saureb wird uns ganz sicher nichts tun. Und ich glaube, auch Keldum und seine Männer nicht mehr. Ich zweifle, dass viele überlebt haben, und selbst wenn, wären sie im Augenblick bestimmt nicht darauf versessen, uns zu verfolgen.« Sie lächelte schwach.
Tiamu überraschte sie auch jetzt. Ob die Schrecken der letzten Tage sie gehärtet hatten oder eine innere Schutzmaßnahme die Herrschaft übernommen hatte – sie schien völlig ruhig und gefasst zu sein. »Ich glaube, du hast recht«, sagte sie zu Sonja. »Er ist offenbar völlig erschöpft.«
»Ja, und zweifellos muss er nun die Geister, die er gerufen hat, besänftigen.« »Sonja?«
»Ja?«
»Werden wir je in die Stadt zurückkehren?«
Sonja blickte sie nur fragend an.
»Weil – ich meine – wenn du von hier wegreitest, würde ich dich gern begleiten.«
»Ich hatte vor, dich mitzunehmen. Ganz sicher kannst du nicht in die Stadt zurück, und genauso wenig kannst du hier bleiben. Du kannst mit mir kommen, bis wir eine Ortschaft erreichen, in der du sicher bist.«
»Ja, ja.« Tiamu nickte nachdenklich. »Ich hatte gehofft, du würdest mir das erlauben. Würdest du mir noch einen Gefallen erweisen?«
»Ja.«
»Lehr mich mit dem Schwert umzugehen!«
Sonja runzelte die Stirn. Damit du
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