Nacht der Dämonen
Gebiet geweckt worden war. Größere Opferungen als alle bisherigen wurden verlangt.
In der nächtlichen Dunkelheit einen Fluchtweg aus der bewachten Stadt zu finden, hatte sich als unmöglich erwiesen. Im Morgengrauen gelangte Peth an eine beleuchtete Türöffnung. Er hielt sie für den Seiteneingang eines Tempels und war erleichtert festzustellen, dass der Tempel nicht voll Andächtiger und verängstigter Priester war, die ihre Götter anflehten, wie so viele Tempel in letzter Zeit. Als er eintrat, sah Peth einen einzelnen Mann auf einer Treppenstufe im Schein der beleuchteten Tür sitzen – es war ein junger Mann im weißen Priestergewand. Dann fiel ihm auf, dass sein Kopf nicht geschoren und sein Gewand mit seltsamen Symbolen bestickt war, im Gegensatz zu den Gewändern anderer Priester in der Stadt. In diesem Augenblick erkannte er ihn. Es war der Priester, der dafür verantwortlich gewesen war, dass der Mob in der Schenke sich gegen ihn gewandt hatte.
Doch irgendwie schien der Mann verändert. Er hob eine Weinkanne an die Lippen mit der gewohnten Sorglosigkeit eines Soldaten oder Trinkers.
Wie angewurzelt blieb Peth gerade am Rand des Lichtscheins stehen. Der Priester bemerkte ihn plötzlich, als er die Kanne absetzte.
»Tretet ein!« Er winkte Peth zu. »Seid Ihr arm und hungrig? Armer Teufel! Unsere Stadt ist nicht mehr, was sie war. Kommt ruhig her! Und keine Angst, ich werde Euch nicht damit langweilen, dass ich Euch zwinge, für ein bisschen Brot und Wein die Wahrsagungen unseres Propheten zu schlucken.«
Peth, der in der Geste die dem Wein entsprungene Freundlichkeit sah und sich wahrhaftig hungrig und müde fühlte, kam näher und setzte sich ebenfalls auf eine Stufe.
»Ich kenne Euch«, stellte der junge Priester plötzlich unerschrocken fest. »Ihr seid jener“ der Mophis tötete. Dafür danke ich Euch – er hätte mich auf der Streckbank gefoltert, wäret Ihr nicht dazugekommen. Es tut mir ehrlich leid, dass ich – und das wahrhaftig ungewollt – die Meute auf Euch ansetzte. Die Verdammten wollen sichergehen, dass alle mit ihnen leiden, nicht wahr? Und nun warten sie darauf, dass der Himmel auf die Erde herabfällt.« Er nahm einen weiteren tiefen Schluck Wein aus der Kanne, betrachtete Peth eingehend und reichte ihm das Gefäß. »Trinkt! Habt Ihr gegessen?«
»Nicht seit heute morgen.« Peth keuchte und stellte die Kanne ab. Der saure Wein lockte ihm Tränen in die Augen.
Der junge Priester brachte einen halben Brotlaib aus seinem Gewand zum Vorschein und brach ein großzügiges Stück davon ab. »Da, esst. Ich weiß, dass Ihr Peth heißt, doch nicht, von woher Ihr kommt.«
Peth biss hungrig vom Brot ab. »Ich bin ein Shemit aus dem Süden und kam mit Keldums Trupp in die Stadt.«
»Mit Keldum? Dann hattet Ihr ja Glück, nachdem, was ich hörte, dass Ihr nicht ebenfalls heute den Tod fandet.«
»Ich war heute nicht bei Keldum. Ich schloss mich vor einiger Zeit seiner Streitkraft an und gab mich als Söldner aus. Ich bin jedoch nicht wirklich Soldat, obgleich ich hin und wieder als solcher diente, sondern Knochenleser, ein Magier.«
»Ein Magier.« Sost starrte den Mann eine lange Weile an. »Ja, ich habe gesehen, was Ihr mit Mophis’ Leichnam getan habt.«
Peth blickte zur Seite, dann starrte er zu den Sternen hoch und schließlich in die dunkle Gasse vor dem Eingang.
»Ich heiße Sost«, sagte der junge Priester nun. »Ich bin Schüler des Propheten Muthsa und kam vor einigen Jahren von Khoraja hierher, in der Hoffnung, mehr über seine tiefere Weisheit zu lernen. Aber ich bin kein guter Priester. Ich fand das Leben hier zwar angenehm, aber das Volk leidet unter der religiösen Herrschaft des Tempels des alten Mophis’ und Hefeis Thron.« Wieder hob er die Kanne an die Lippen. »Die Menschen hier sind Toren«, sagte er mit müder Stimme. »Doch ich bin ein noch größerer Narr. Sie warten darauf, dass die Dämonen sie töten – und ich hoffe, das werden sie! Ich habe miterlebt, wie diese Leute die jungen Mädchen zurichteten, die als Opfer auserwählt wurden.« Er schnaubte bitter. »Ein Magier seid Ihr, sagtet Ihr?« wandte er sich an Peth.
»Ja. Ich will aus der Stadt hinaus.«
»Ein Knochenleser? Ein Zukunftsdeuter, meint Ihr das?«
»Ja.«
Nach einer Weile bat Sost. »Werft die Knochen, Peth, und verratet, was mir bevorsteht, dann weise ich Euch einen Weg aus der Stadt.«
Peth tastete nach seinem Gürtel, löste den Beutel, öffnete ihn und schüttete die Knöchelchen
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