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Nacht der Füchse

Titel: Nacht der Füchse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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taten; Leutnant Guido Orsini passte eben in keine Schublade. Als Italiener zur deutschen Marine abgestellt, war er, als Italien kapitulierte, im falschen Augenblick am falschen Ort gewesen. Helen de Ville hatte es längst aufgegeben, so zu tun, als empfinde sie mehr als nur freundschaftliche Zuneigung zu ihm.
    »Guten Morgen, Guido.«
    »Helen, cara mia.« Er warf ihr einen Handkuss zu. »Ich bin wie immer der Letzte.«
    »Wohin geht es heute?«
    »Nach Granville. Wird lustig bei diesem Nebel. Andererseits bleiben dann die Tommies zu Hause. Bin morgen zurück. Möchten Sie nach St. Helier? Kann ich Sie mitnehmen?«
    »Nein, danke. Ich suche Sean.«
    »Den General habe ich vor knapp zehn Minuten mit einer langen Axt aus der Südscheune kommen sehen. Er schien zu seinem Haus zu wollen. Bis morgen dann. Ich muss mich beei­ len. Ciao, cara.«
    Er verschwand durch die kleine Tür auf dem Hof. Kurze Zeit später hörte Helen den Morris anspringen und abfahren. Gleich darauf ging sie selbst über den Hof, passierte eine Zaunpforte und lief einen Waldweg entlang. Sean Gallaghers Häuschen, das zum Gut gehörte, stand in einer Senke an einem Bach. Und schon konnte sie ihn Holz hacken sehen; er trug eine alte Kordhose und Reitstiefel und hatte das karierte Hemd über muskulösen Ärmeln aufgekrempelt.
    »Sean!«, rief sie und wäre beinahe gestolpert.
    Er ließ die Axt sinken, drehte sich um und schob eine röt­ lichbraune Haarlocke aus der Stirn. Dann ließ er die Axt fallen und fing sie auf, denn sie verlor schon wieder das Gleichge­ wicht.

    Sean Martin Gallagher war zweiundfünfzig Jahre alt und als irischer Bürger in diesem Krieg offiziell neutral. Er war 1892 in Dublin geboren, wo sein Vater am Trinity College Professor für Chirurgie war, ein Mann, der sich nicht für Frauen interes­ sierte, bis er während einer beruflich bedingten Reise nach Jer­ sey die junge Krankenschwester Ruth le Brocq kennen lernte. Kaum einen Monat später hatte er sie geheiratet und mit nach Dublin genommen.
    Im nächsten Jahr war sie bei Seans Geburt gestorben, und der Knabe verbrachte die langen Sommermonate seiner Jugend bei den Großeltern auf Jersey, den Rest der Zeit bei seinem Vater in Dublin. Vom Ehrgeiz erfüllt, Schriftsteller zu werden, studierte er Literatur an der Universität seines Vaters, am Trini­ ty College. Das Leben aber bestimmte ihn zum Soldaten, denn er war gerade mit dem Studium fertig, als der Erste Weltkrieg ausbrach.
    Er schloss sich den irischen Füsilieren an und hatte 1918 für seine sechsundzwanzig Jahre schon viel erlebt. Er war Major, zweimal verwundet und Träger des Military Cross, nachdem er sich an der Somme durch Tapferkeit ausgezeichnet hatte. Seine eigentlichen Kriegserfahrungen sammelte er aber erst später, als er mit der IRA in Irland unter Michael Collins’ Führung kämpfte, als Kommandeur einer fliegenden Kolonne in der Grafschaft Mayo.
    Der Vertrag mit der britischen Regierung, der den Konflikt 1922 beendete, erwies sich als Vorspiel zu einem heftigen, blutigen Bürgerkrieg zwischen IRA-Gruppen, die den Vertrag nicht anerkennen wollten, und anderen, die für einen freien irischen Staat unter Collins kämpfen wollten. Sean Gallagher hatte sich für den Freistaat entschieden – und war mit dreißig als General durch die westlichen Gebiete Irlands gezogen, um rücksichtslos Jagd auf alte Kameraden zu machen.
    Des Tötens überdrüssig, war er später durch die Welt gereist. Dabei lebte er vom Erbe seines Vaters, schrieb Romane, wenn ihm der Sinn danach stand, und ließ sich schließlich 1930 auf Jersey nieder. Ralph de Ville war ein Jugendfreund von ihm, und Helen liebte er inbrünstig und hoffnungslos, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war. Sein Zuhause in St. Lawrence im Inneren der Insel war 1940 von den Deutschen beschlagnahmt worden. Während Ralph bei den Briten diente, brauchte Helen einen Mann zum Zupacken – und so wohnte er nun auf dem Anwesen im Witwenhäuschen. Und liebte sie wie eh und je – und immer noch ohne Aussicht auf Gegenliebe. Der alte Kar­ ren hatte schon bessere Tage gesehen, und das Pferd, das sich damit den Weg zum Wasser hinabmühte, wirkte sichtlich ab­ gemagert. Sean Gallagher führte das Tier am Zügel, Helen ging neben ihm.
    »Wenn die Sache schief geht«, sagte er ernst, »wenn sie rausfinden, dass du diesem Mann hilfst, kannst du nicht mehr mit Gefängnis rechnen. Dann kommst du vor das Erschie­ ßungskommando oder in so ein Konzentrationslager, von

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