Nacht der Füchse
Verteidigungsanlagen einen Überraschungsbesuch abstatten kann.«
»Gut ausgedacht«, sagte Hofer.
»Ja, der Ansicht bin ich auch.« Rommel begann seinen Uni formrock aufzuknöpfen. »Während dieser Zeit treffe ich an irgendeinem entlegenen Ort mit Falkenhausen und Stülpnagel zusammen und treibe die Sache voran.« Er gähnte. »Jetzt aber ins Bett. Sorgen Sie dafür, dass von Schmettow auf Guernsey morgen seine Befehle erhält. Ach, und reden Sie gleich morgen früh mit Oberst Halder. Sagen Sie ihm, Gefreiter Berger hätte mir sehr gefallen, ich wollte ihn mir ein Weilchen ausleihen. Ich glaube nicht, dass er Schwierigkeiten macht.«
»Ich auch nicht, Herr Generalfeldmarschall«, sagte Hofer. »Gute Nacht.« Er ging.
Dougal Munro verbrachte diese Nacht auf einem schmalen Feldbett in der Ecke seines Baker-Street-Büros. Gegen drei Uhr früh schüttelte ihn Jack Carter vorsichtig wach. Munro öffnete sofort die Augen und fuhr hoch. »Was ist?«
»Die neuesten Listen aus Slapton, Sir. Sie wollten sie gleich sehen. Über hundert Tote werden immer noch vermisst.«
»Und keine Spur von Kelso?«
»Leider nicht. General Montgomery ist nicht gerade erbaut darüber, doch hat er sich von der Marine sagen lassen, dass die feindlichen Einheiten auf keinen Fall Überlebende hätten auffi schen können. Dazu waren sie zu weit weg.«
»Leider zeigt sich im Leben immer wieder, dass irgendet was, das eben doch als unmöglich bezeichnet wurde, im näch sten Moment prompt eintritt. Wann haben wir Sonnenauf gang?«
»Kurz vor sechs Uhr. Das dürfte die letzte Suche sehr er leichtern.«
»Lassen Sie für acht Uhr einen Wagen bereitstellen. Wir fah ren nach Slapton und schauen uns dort um.«
»Jawohl, Sir. Wollen Sie weiter schlafen?«
»Nein, ich glaube nicht.« Munro stand auf und reckte sich. »Ich arbeite lieber noch ein paar Akten durch. Das Böse findet eben keine Ruhe, Jack.«
Am gleichen Morgen um sechs Uhr erwachte Kelso aus einem absonderlichen Traum, in dem er aus großer Entfernung von einem urzeitlichen Wesen gerufen wurde. Obwohl er völlig durchfroren war und kein Gefühl in Händen und Füßen hatte, brannte ihm das Gesicht, und seine Stirn war schweißbedeckt.
Er öffnete mühsam die Eingangsplane und schaute in die graue Morgendämmerung hinaus. Viel zu sehen war allerdings nicht, denn es herrschte dichter Nebel. In der Ferne brüllte wieder das Ungeheuer – das er nun als Nebelhorn erkannte. Er konnte es nicht wissen, doch handelte es sich um das Signal des Corbière-Leuchtturms an der Südwestspitze Jerseys – und ertönte bereits hinter ihm. Allerdings ahnte er Land, roch es förmlich – und fühlte sich eine Zeit lang beinahe frisch und munter.
Er hörte an einer unsichtbaren Küste Wellen auflaufen, dann riss der Wind ein Loch in den Nebelvorhang und zeigte ihm Klippen, von Geschützanlagen aus Beton gekrönt. Noirmont Point – ein Name, der Kelso nichts bedeutet hätte, und während sich der Nebel wieder verdichtete, trieb die Strömung ihn in die St-Aubin’s-Bucht und dicht an die Küste heran.
Wellen ergriffen ihn, seltsame, wirbelartige Strömungen, die ihn im Kreis herumdrehten. Seitlich brach eine Woge und ließ Gischt hoch aufsprühen, und ringsum erstreckte sich weißer Schaum, durch den Felsgestein sichtbar war. Im nächsten Au genblick war eine dünne, klare Stimme zu hören, und der Ne bel stieg und offenbarte ihm einen kleinen Strand, dahinter Steinformationen, die steil zu einem Kiefernwäldchen anstie gen. Da war jemand – am Strand lief ein Mann in einem schweren Seemannsmantel und Gummistiefeln, eine Wollmüt ze auf dem Kopf.
Das Rettungsfloß bewegte sich seitlich durch die Brandung, wurde hochgehoben und gegen Felsen geschleudert und ließ Kelso mit dem Kopf voran durch die Einstiegsöffnung ins Wasser stürzen. Er versuchte aufzustehen, und die Brandung übertönte seinen Aufschrei, als das rechte Bein ihn nicht halten wollte – aber schon war der Mann ins knietiefe Wasser gewatet und stützte ihn. Erst in diesem Moment erkannte er, dass es sich um eine Frau handelte.
»Alles in Ordnung. Ich halte Sie fest.«
»Bein«, murmelte er. »Gebrochenes Bein.«
Er wusste nicht mehr genau, was danach geschah. Als er wieder zu sich kam, lag er im Schutz einiger Felsen. Die Frau zerrte das Rettungsfloß aus dem Wasser. Als er sich aufzurich ten versuchte, kam sie auf ihn zu und kniete neben ihm nieder. »Wo bin ich?«, fragte Kelso. »In
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