Nacht der Füchse
herüber, obwohl die meisten Buden wegen der Verdunkelungsvorschriften schon geschlossen hatten. Sarah und Martineau gingen über den leeren Parkplatz zu dem Auto, mit dem sie gekommen waren. Plötzlich waren schnelle Schrit te zu hören. Er drehte sich um und sah die beiden jungen Sol daten im Laufschritt näher kommen. Der Sergeant erschien auf der Veranda hinter dem Gasthaus und schaute herüber.
»Also«, sagte der junge Soldat, der den Zwischenfall an der Bar provoziert hatte. »Wir beide sind noch nicht fertig mitein ander. Sie haben eine Lektion verdient.«
»Ach wirklich?«, fragte Martineau. Als der junge Kerl zu ei nem heftigen Hieb ausholte, fing er ihn am Handgelenk ab, drehte es hoch und herum und hatte den Mann schnell im Schultergriff. Ein Muskel riss, und der Soldat schrie auf. Der andere Uniformierte brüllte erschrocken los, als sein Freund zu Boden sank. Zornig lief der Sergeant herbei.
»Sie Schweinehund!«, sagte er.
»Das trifft mich nicht, eher Sie, weil Sie die Sache haben laufen lassen.« Martineau zückte seinen Ausweis. »Ich glaube, Sie sollten sich das anschauen.«
Dem Sergeant stand der Mund offen. »Colonel, Sir!« Er nahm Haltung an.
»Schon besser. Sie brauchen einen Arzt. Sagen Sie dem Knäblein, wenn er wieder zuhören kann, dass ich hoffe, er hat etwas dazugelernt. Beim nächsten Mal könnt’s um ihn gesche hen sein.«
Im Wegfahren fragte Sarah: »Für Sie gibt’s kein Zögern, wie?«
»Wozu auch?«
»Ich glaube, jetzt verstehe ich, was Jack Carter meinte. Ich finde auch, Sie haben das Talent zum Töten.«
»Worte«, antwortete er. »Spielereien im Kopf. Damit be schäftigte ich mich viele Jahre lang. Nur Gerede, nur Ideen. Wenden wir uns mal einigen Tatsachen zu. Hören wir auf, Spiele zu spielen in schwarzen Seidenkleidern mit künstlich blondem Haar. Wissen Sie, wie es die Gestapo anfängt, feindli che Agentinnen kleinzukriegen, die ihr in die Hände fallen?«
»Sie werden’s mir sagen.«
»Mit mehrfacher Vergewaltigung. Wenn das nicht reicht, kommt als Nächstes die elektrische Schocktherapie. Ich hatte mal eine Freundin in Berlin. Sie war Jüdin.«
»Ich weiß. Carter hat mir von ihr erzählt.«
»Wie sie in den Gestapokellern in der Prinz-Albrecht-Straße gefoltert und dann ermordet wurde?« Martineau schüttelte den Kopf. »Er weiß nicht alles. Er weiß nicht, dass Kaufmann, der Gestapochef von Lyon, den ich letzten November umbrachte,
1938 in Berlin für Rosas Tod verantwortlich war.«
»Jetzt verstehe ich«, sagte Sarah leise. »Sergeant Kelly sag te, Sie wären anders als die anderen – und er hat Recht. Sie haben Kaufmann jahrelang gehasst, und als Sie sich schließlich an ihm rächten, mussten Sie feststellen, dass das keine Bedeu tung mehr hatte.«
»Was für weise Worte!« Martineau lachte kalt. »Hinüber zu fliegen und gegen die Gestapo zu arbeiten hat nichts mit den Filmen zu tun, die in den Elstree-Studios gedreht werden. In Frankreich leben fünfzig Millionen Menschen. Wissen Sie, wie viele unserer Schätzung nach in der Resistance aktiv sind?«
»Nein.«
»Zweitausend, Sarah. Jämmerliche zweitausend!«, rief er angewidert. »Ich weiß nicht, warum wir uns überhaupt die Mühe machen.«
»Ja, warum? Nicht nur wegen Rosa oder Ihrem Großvater.«
Er schaute sie kurz an, und sie fuhr fort: »O ja, das weiß ich auch.«
Es trat ein Schweigen ein. Mit einer Hand öffnete er sein Zi garettenetui. »Möchten Sie eine? Eine schlechte Angewohn heit, aber doch sehr beruhigend, wenn es darauf ankommt.«
»Schön«, sagte sie und nahm eine Zigarette.
Er gab ihr Feuer. »Ich habe nie darüber gesprochen, aber ich sollte 1917 nach Harvard gehen. Aber dann ließ sich Amerika in den Krieg ziehen. Ich war siebzehn, noch nicht volljährig. Meldete mich ganz impulsiv und landete schließlich in den flandrischen Schützengräben.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn von der Hölle auf Erden gesprochen wird – die Schützengräben waren die Hölle. So viele Tote, dass man nicht mehr mitzählen konnte.«
»Es muss schrecklich gewesen sein.«
»Und ich genoss jede Minute! Können Sie das verstehen? Ich lebte, fühlte an einem Tag mehr als sonst in einem ganzen Jahr. Das Leben erwies sich als etwas Reales, Blutiges, Aufre
gendes. Ich konnte nicht genug davon bekommen.«
»Wie eine Droge?«
»Genau. Ich war wie der Mann in dem Gedicht, ständig suchte ich den Tod auf dem Schlachtfeld. Und genau davor rückte ich schließlich aus
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