Nacht der Füchse
beginne meistens damit, das Gehirn herauszunehmen«, sagte Speer munter. »Da dieser Fall aber eilig ist – wie Sie mir gesagt haben –, kümmern wir uns zuerst um die Organe, damit die Labortechniker ihre Arbeit beginnen können.«
Das Skalpell in seiner rechten Hand sah nicht besonders groß aus, doch zerteilte es mühelos Haut und Gewebe vom Hals bis zum Bauch. Ein fürchterlicher Gestank stieg auf, doch hielt Greiser die Stellung, indem er sich ein Taschentuch vor den Mund presste. Speer arbeitete schnell: Er nahm Herz, Leber und Nieren heraus, die in Emaillebecken ins benachbarte Labor geschafft wurden.
Speer schien Greiser vergessen zu haben. Einer der Gefreiten reichte ihm eine kleine elektrische Säge, die er mit einer Steck dose im Boden verband. Als der Arzt am Schädel zu arbeiten begann, hatte Greiser doch genug und begab sich eilig in den Waschraum, wo er sich heftig übergab.
Hinterher saß er rauchend im Gang. Eine junge Kranken schwester blieb neben ihm stehen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sie sehen ja schrecklich aus«, sagte sie mit iri schem Akzent.
»Ich habe eben bei einer Leichenöffnung zugesehen«, erklär te Greiser.
»Nun ja, das kann einen beim ersten Mal schon umhauen. Ich bringe Ihnen einen Kaffee.«
Sie meinte es gut – aber es war nur Eichelkaffee, ein Gebräu, das Greiser zuwider war. Er zündete sich eine neue Zigarette an, ging zum Haupteingang und rief aus der Portiersloge bei Müller im Silvertide an.
»Hier Greiser, Herr Hauptmann.«
»Wie läuft es?«, fragte Müller.
»Also, es gibt wirklich Schöneres im Leben, aber Major Speer versteht sein Handwerk. Ich warte auf seine Ergebnisse. Die Labortests laufen bereits.«
»Warten Sie, bis alles durch ist. Eine interessante Neuigkeit. Ihr Bruder rief eben aus Stuttgart an. Er hat von Frau Neumann aus Berlin gehört, das ist die Frau, die in der Reichskanzlei im
Büro des Reichsführers arbeitet.«
»Und?«
»Sie kennt Vogel nicht. Bis jetzt hat sie allerdings nur inoffi ziell nachgeforscht. Ihr Bruder weist darauf hin, dass Himmlers Sonderbevollmächtigte praktisch überall unbekannt sind.«
»Ja, aber man müsste doch annehmen, dass jemand wie Lot te Neumann wenigstens schon mal von ihm gehört hat!«, sagte Greiser. »Was wollen Sie jetzt tun?«
»Darüber nachdenken. Sobald Speer ein Ergebnis hat, klin geln Sie durch, und ich komme vorbei und höre mir an, was er zu sagen hat.«
Kurz vor siebzehn Uhr kehrte der Wagentross nach September tide zurück. Baum und Hofer stiegen aus, und Necker und eini ge Offiziere schlossen sich der Gruppe an. Martineau blieb abwartend im Hintergrund. »Ein schöner Tag, Herr Major«, sagte Baum. »Ich bin Ihnen wirklich dankbar.«
»Es freut mich, dass alles so gut geklappt hat, Herr General feldmarschall.«
»Wie lange dauert die Fahrt von hier zum Flughafen?«
»Keine zehn Minuten.«
»Gut. Dann sehen wir uns dort zwischen halb acht und acht Uhr.«
Necker salutierte, machte kehrt und stieg wieder in den Wa gen. Während sich die Gruppe der Offiziere auflöste, wandten sich Baum und Hofer der Haustür zu, und Martineau trat vor. »Dürfte ich Sie noch kurz sprechen, Herr Generalfeldmar schall?«
Hofer reagierte besorgt, aber Baum sagte gut gelaunt: »Na türlich, Standartenführer. Treten Sie ein.«
Im gleichen Augenblick erschien Heider, der zuständige Kommandeur, an der Tür und grüßte. »Kann ich irgendetwas für Sie tun, Herr Generalfeldmarschall?«
»Wie wär’s mit dem Koch, den wir gestern Abend hatten?«
»Ich schicke ihn zu Ihnen.«
»In einer halben Stunde, Heider.«
Gefolgt von Hofer und Martineau betrat Baum das Haus und ging ins Wohnzimmer. Baum legte Ledermantel und Mütze ab und öffnete die Terrassentür. »Etwas zu trinken, Standartenfüh rer?«
»Das wäre schön.«
»Konrad«, wandte sich Baum mit einem Kopfnicken an Ho fer. »Ich glaube, ich nehme einen Cognac. Sie trinken mit?«
Er steckte eine Zigarette in die Spitze, und Martineau gab ihm Feuer, während Hofer sich um die Getränke kümmerte. »Was für ein herrlicher Ausblick!«, sagte Baum und ließ den Blick über die St.-Aubin’s-Bucht wandern. »In Friedenszeiten, wenn da unten alle Lichter brennen, muss es wie Monte Carlo aussehen. Meinen Sie nicht auch, Konrad?«
»Jawohl, Herr Generalfeldmarschall.«
»Auf uns, meine Herren.« Baum hob sein Glas. »Auf die Soldaten, die stets und überall die Last der menschlichen Dummheit auf ihren
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