Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
und beschattet von borstigen Brauen.
«Geht euch gar nichts an», murmelte der alte Rana.
Franco hob den Kopf.
«Er ist hinten im Ziegenstall.»
«Halt den Mund, du Trottel!», zischte der Alte.
«Danke, Franco!», sagte Guerrini und zog ein kleines Funkgerät aus der Tasche. «Pucci?» Es knatterte, pfiff, dann antwortete Pucci undeutlich.
«Commissario?»
«Kommen Sie ums Haus herum, Pucci. Wir haben alles unter Kontrolle. Sie können durch den hinteren Eingang rein.»
«Zu Befehl, Commissario!»
«Jetzt ist er übergeschnappt!», murmelte Guerrini und lächelte Laura zu, wurde gleich darauf wieder ernst und wandte sich an den alten Rana.
«Wie zum Teufel kommen Sie auf die Idee, mit einem Gewehr auf Polizeibeamte zu schießen, Rana?»
Der alte Mann antwortete nicht. Er umklammerte seine Oberschenkel und starrte auf den Boden. Der Hund saß zu seinen Füßen und winselte leise.
«Es ist besser, Sie antworten mir, Rana. Maresciallo Pucci wird gleich hier sein, und er ist nicht so geduldig wie ich.»
Der Alte zuckte die Achseln. Franco wollte etwas sagen, doch Guerrini schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
«Ich möchte es von ihm selbst hören!»
Hinter dem Haus rumpelte es.
«Los, Rana. Pucci wird gleich da sein.»
Der Hund sprang auf, stürzte aus der Tür und bellte schrill. Sie hörten Pucci fluchen, und Laura unterdrückte ein Lächeln. Jetzt jaulte der Hund. Da fuhr der alte Rana auf.
«Wenn er Chicco was tut, dann dreh ich ihm den Hals um!»
«Pucci! Lassen Sie den Hund in Ruhe!», rief Guerrini. «Dann sagen Sie dem verdammten Vieh, dass es mich in Ruhe lassen soll!», brüllte Pucci zurück.
«Chicco! Komm her!», schrie der Alte.
«Ruhe!», donnerte Guerrini.
Der kleine braunweiße Hund trippelte über die Schwelle und setzte sich hechelnd und knurrend neben den alten Rana.
«Also, was ist jetzt?», fragte Guerrini.
«Ich … ich hätte nicht auf Sie geschossen, Commissario. Ich wollte Sie nur erschrecken.»
«Und was ist mit Giuseppe?»
Da barg der alte Mann das Gesicht in seinen Händen und fing an zu weinen. Pucci erschien in der Tür, doch Guerrini hob abwehrend einen Arm und bedeutete ihm, draußen zu bleiben.
«Was ist mit Giuseppe?», wiederholte Guerrini leise.
Die schmalen Schultern des alten Mannes zuckten.
«Er hat viel Unglück über die Familie gebracht!» Ranas Stimme war undeutlich, heiser, unterbrochen von kurzen Schluchzern.
«Welches Unglück?»
«Mein Bruder ist gestorben, weil der Junge so verrückt war. Er hat es nicht ausgehalten! Und er bringt Unglück über seine Mutter und Franco. Er belästigt Frauen, und die Leute fürchten sich vor ihm, weil er singt. Er singt dauernd, Commissario. Man kann nicht mit ihm reden. Er sitzt unter einem Baum und singt. Wenn man ihn was fragt, dann singt er einfach. Er ist komplett verrückt. Ich … ich hab deshalb oft schon gedacht, es wäre besser …»
«Was wäre besser?» Guerrinis Stimme klang sanft.
Der alte Rana schüttelte den Kopf.
«Sie können das nicht begreifen, Commissario. Wir sind nur arme einfache Bauern. Wir arbeiten hart. Wir können nicht dauernd auf einen Verrückten aufpassen … Sie sehen ja, was er anrichten kann …»
«Wir wissen nicht, ob er überhaupt etwas angerichtet hat, Rana. Sie haben immer noch nicht gesagt, was besser wäre!»
Der alte Mann sah plötzlich auf. Sein Gesicht war rot, verschwollen. Seine rechte Hand tastete nach unten, traf auf den kleinen Hund, strich über Kopf und Rücken des Tiers.
«Ich dachte, es wäre besser, wenn Giuseppe nicht da wäre», flüsterte er kaum hörbar.
«Was?» Pucci schob den Kopf vor, doch Guerrini scheuchte ihn wieder in den dunklen Flur zurück.
«Solche Gedanken kommen vor», sagte Guerrini. «Wir alle wünschen uns manchmal, dass ein anderer nicht da sein sollte. Wenn man es genau betrachtet, könnten wir alle Mörder sein. Aber es kommt darauf an, ob wir es tun oder nicht – jedenfalls vor dem Gesetz, Rana … Wollten Sie Giuseppe wirklich umbringen? Hätten Sie es fertig gebracht, auf ihn zu schießen, wenn er vor Ihnen in einer Ecke sitzt und singt?»
Der alte Mann drückte den kleinen Hund an sich. Ein Zittern lief durch seinen Körper, dann schüttelte er den Kopf.
«Nein!», flüsterte er. «Nein, ich glaube nicht, dass ich es geschafft hätte. Er hat so ein … Gesicht. Manchmal sieht er aus wie ein Engel …»
«Ja», sagte Guerrini langsam, «manchmal sieht er aus wie ein Engel.» Er wandte sich zur
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