Nacht der Sünde
Freie. Die Betonrampe, von der sie gleich springen würden, war nur wenige Schritte von ihnen entfernt.
Kate. Damons Herz begann schneller zu schlagen, während er sich mit einer Hand übers Gesicht fuhr. „Und würde es etwas ändern, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe und dich bitte, es nicht zu tun?“
„He, Damon, was ist? Du kneifst doch nicht etwa oder was?“, fragte Seb besorgt und machte ein paar Lockerungsübungen.
Bevor er antwortete, ballte Damon die Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder und dehnte den Nacken. „Ich lasse euch den Vortritt.“
„Okay, Leute, bis später. Wir sehen uns unten.“ Seb grinste, dann betrat er die Rampe. Brad und Damon folgten.
Gebannt beobachtete Damon, wie Seb sich tollkühn ins Leere stürzte. Ein paar Sekunden später folgte Brad. Zu dicht . Damon fluchte leise. Über seinen Rücken rannen Schweißbäche, während er bis fünf zählte … bis sechs … endlich. Erst als er sah, dass sich Sebs und gleich darauf auch Brads Fallschirm öffnete, atmete er auf. Diese Sekunden angespannten Wartens waren jedes Mal die Hölle. Bis heute trauerte Kate um einen Bruder, der vor Jahren unter ähnlichen Umständen ums Leben gekommen war. Plötzlich konnte Damon verstehen, was sie fühlte.
Er sah zu, wie Seb und Brad immer kleiner wurden. Für eine tödliche Schrecksekunde kam Brad der Außenwand des Turms gefährlich nah, aber er schaffte es, sich wieder aus der Gefahrenzone zu bringen.
Allmählich scharrten die Leute hinter Damon bereits leicht ungeduldig mit den Füßen. Verdammt, gleich würden sie ihn auffordern, entweder zu springen oder den Platz freizumachen. Kate … Kate …
Er blinzelte sich den Schweiß aus den Augen, straffte die Schultern und trat einen halben Schritt vor. Unendlich weit unter ihm lag die Innenstadt von Kuala Lumpur, die Petronas Towers glitzerten unter einer heißen Dunstglocke. Noch ein Schritt, bei dem der Wind an seinem zusammengefalteten Fallschirm zerrte und drohte, ihn umzureißen. Carpe Diem. Spring. Das Hier und Jetzt waren das Einzige, worauf es ankam. Das ganze Leben war ein Risiko.
Aber es gibt ein Risiko, das du nicht bereit bist einzugehen. Das gefährlichste Risiko überhaupt.
Kates Weisheit.
Kates Schmerz.
Kates Liebe.
Und es war die Wahrheit, die reine Wahrheit. Sie blendete ihn in ihrer Klarheit und traf ihn mit einer solchen Wucht, dass er fast das Gleichgewicht verlor.
Wahrscheinlich war dies der ungünstigste Moment für eine Erleuchtung.
Vorsichtig zog er sich von dem Vorsprung zurück. Sobald er wieder auf der Plattform stand, nahm er seinen zusammengefalteten Fallschirm ab, drückte ihn einem der Umstehenden in die Hand und hastete zum Aufzug.
Es gab eine Zukunft. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er das Gefühl, dass sich das Leben lohnte.
Auf dem Flughafen von Sydney wimmelte es von Reisenden, als Damon am frühen Montagmorgen den Terminal verließ. Er hatte gleich hier geduscht und sich umgezogen, weil er direkt ins Reisebüro fahren wollte.
Für den Abend hatte er große Pläne. Zuerst würde er Kate in eines der besten Restaurants von Sydney zum Essen einladen und ihr anschließend etwas sagen, was er ihr schon längst hätte sagen sollen. Aber wie hätte er das gekonnt? Er hatte ja nicht einmal gewagt, es sich selbst einzugestehen.
Er fühlte sich wie ein neuer Mensch. Er war ein neuer Mensch.
Als er ins Büro kam, traf er Sandy an ihrem Lieblingsplatz neben der Kaffeemaschine an. Über den Rand ihrer dampfenden Cappuccinotasse warf sie ihm ihr Tausendwattlächeln zu. „Hallo, Damon.“
„Morgen, Sandy. Ist Kate schon da?“
Sie deutete mit ihrer Tasse in Richtung Eingangstür. „Die haben Sie haarscharf verpasst.“
„Verpasst? Ist sie …“
„Sie war nur kurz hier und ist gleich wieder verschwunden, mit einer vollgestopften Tasche.“
Sein Lächeln verblasste. Er hatte keine Lust zum Rätselraten. Plötzlich machte sich sein Schlafdefizit unangenehm bemerkbar und nahm dem Morgen seinen Glanz. „Hat sie gesagt, wann sie zurückkommt?“
„Ich glaube, sie hat vor dem Weggehen etwas auf Bryces … auf Ihrem Schreibtisch hinterlassen. Mir hat sie nur Tschüs gesagt.“
„Danke.“ Mit einem mulmigen Gefühl betrat er sein Büro.
„Sie haben Sie doch nicht entlassen, oder?“
Wie vom Blitz getroffen drehte er sich auf der Schwelle um und starrte Sandy fassungslos an. „Entlassen? Wie kommen Sie denn darauf?“
„Es ist nur, weil sie Smiley mitgenommen hat
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