Nacht der Vampire
danach spürte, ließ er sich wortlos neben ihr nieder. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. Für ihn war diese Stellung ziemlich unbequem. Trotzdem hielt er still und streichelte ihren nackten Oberarm.
»Was meinst du, wer es getan hat, Duffy?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ein ortsansässiger Psychopath, von dessen Krankheit keiner weiß. Oder ein zufällig vorbeikommender Wahnsinniger. Oder auch irgendein wild gewordenes Tier.«
Sofort verkrampfte sich ihr Körper, aber sie entspannte sich rasch wieder.
»Wenn man den Täter gefunden hat, wird man aufhören, mich zu verdächtigen.«
»Niemand verdächtigt dich, Roxanne. Höchstens ein paar Spinner.«
»Man hat mich schon einmal für schuldig gehalten. Die ganze Stadt.«
Das stimmte. Er hatte nur nicht daran gedacht. Vor einigen Jahren hatte sich ein ähnlicher Fall ereignet, für den man Roxanne verantwortlich gemacht hatte. Die Leute hatten die Geschichte bestimmt nicht vergessen, besonders nicht nach der jüngsten Tragödie.
Du lieber Gott, was haben wir hier zu suchen?
Wie konnte ich sie nur hierher zurückbringen?
Schlagartig lichtete sich Duffys Denken, als hätte sich der Nebel zerteilt. Sekundenlang zerstoben alle Illusionen, und dahinter erkannte er die Wahrheit.
Ich hätte sie niemals hierherbringen dürfen! Das war der helle Wahnsinn! Wie konnte ich ihr das bloß antun?
Jeder seiner Schlüsse erschien ihm schief und einer wirren Traumwelt entsprungen. Jetzt war er aufgeschreckt wie ein Schlafwandler und hatte entsetzt erkannt, wo er sich tatsächlich befand.
Aber sofort waren die wenigen lichten Momente vorbei.
Erleichtert atmete er auf. »Vielleicht hätten wir nicht kommen sollen, Roxanne. Oder der Zeitpunkt war schlecht gewählt. Eines aber weiß ich genau — wenn wir jetzt abreisen, begehen wir einen schweren Fehler.«
Sie bewegte den Kopf auf seiner Schulter. »Du — du meinst, wir sollen es durchstehen?«
»Ja, genau das meine ich«, sagte er. Aber er war sich seiner Sache selbst nicht sicher.
Am Vormittag klingelte das Telefon noch einmal, aber sie hoben nicht ab. Gegen Mittag ging Duffy in die Küche und bereitete einen kleinen Imbiß vor. Roxanne kam zu ihm. Er fand sie zwar noch immer niedergeschlagen, aber auf jeden Fall sah sie besser aus als am Morgen.
Sie hatten den Eindruck, daß mehr Leute als gewöhnlich an ihrem Haus vorbeischlenderten. Sie blieben stehen, betrachteten angelegentlich den See und drehten sich dann um, wobei sie flüchtig das Haus musterten. Manche kamen vier- bis fünfmal vorbei.
»Schau doch, Duffy«, sagte Roxanne nach dem Essen, »am anderen Ufer sieht man Sanscoeur.«
»Das weiß ich.«
»Mir war es noch gar nicht aufgefallen. Ich werde wohl noch nicht hinausgesehen haben. Mein Gott, ist das ein düsteres Haus! Sogar bei Sonnenschein. Als Kind habe ich das gar nicht bemerkt.«
An dem einen Seeufer war Sanscoeur und am anderen der Sanscoeursproß, das Wolfmädchen. Ja, ja, heute kommen die Sensationshungrigen auf ihre Rechnung, dachte Duffy.
Aber die Gaffer verliefen sich bald, und auch das Telefon blieb still. Mit einem Anschlag war wohl kaum mehr zu rechnen, und sie brauchten Proviant. Duffy beschloß, ihn zu kaufen.
»Wenn du willst, begleite ich dich«, sagte Roxanne in einem Ton, der um Ablehnung bettelte. Duffy lehnte auch ab und riet ihr, zumindest für den Rest des Tages das Haus nicht zu verlassen. Er rief Zachary im Hotel an, erreichte ihn sofort und verabredete sich mit ihm.
»Vielleicht treffe ich auch noch ein paar alte Bekannte«, sagte er. »Auf jeden Fall komme ich so rasch wie möglich zurück.«
Roxanne schüttelte den Kopf. »Laß dir nur Zeit. Um mich brauchst du dich nicht zu sorgen. Ich bin von der Reise immer noch müde. Nur wenn es dunkel wird, laß mich nicht allein.« Sie zwang sich ein beruhigendes Lächeln ab.
Er war erst einige hundert Meter gefahren, als er bemerkte, daß die Leute seinen Ford erkannten. Etliche Passanten sahen ihm neugierig nach. Die heißen Landstraßen gingen rasch in die dampfenden Straßen der kleinen Stadt über. Hier wurde er ganz unverhohlen angestarrt. Man hatte ihn erkannt. Vielleicht war es ein Leichtsinn gewesen, daß er beschlossen hatte, mit Roxanne hierzubleiben.
Trotzdem wußte er genau, daß er nicht abreisen konnte.
Er fand das einzige Hotel der Stadt, das seines Wissens zugleich das beste im ganzen Umkreis war. Er stellte den Wagen an der Bordkante gegenüber ab und steuerte durch die sengende Hitze auf den Hoteleingang
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