Nacht der Vampire
Ganze.«
»Sag getrost Inzest. Man soll die Dinge beim rechten Namen nennen.«
»Das stimmt. Maddy soll eine entfernte Cousine Robbys gewesen sein.. .«
Sie hassen mich und ich hasse sie!
Ich wollte, sie wären tot!
Daheim war sie zumeist sich selbst überlassen, besonders nach dem Tod ihrer Eltern. Aber es gab Bücher, und zu ihnen flüchtete sie. Sanscoeur besaß eine große Bibliothek, in die sich außer Roxanne kaum jemand verirrte. Mit sieben Jahren konnte sie bereits alles lesen, auch wenn sie es nicht verstand. Von da ab verbrachte sie die meiste Zeit in der Bibliothek. Dort gab es Tausende von Bänden. Die Bücherregale reichten bis an die Decke. Nachdem die Mutter aus ihrem Leben verschwunden war, kletterte Roxanne mit wachsender Frechheit auf die Leiter und holte sich die verstecktesten und aufregendsten Werke herunter.
Bücher über Kobolde und Trolle.. .
Bücher über Hexen und Zauberer ...
Bücher über Poltergeister und Amulette . . .
Sagen von Prinzen und Dämonen, von Alben und Geistern, von Vampiren und Werwölfen ...
Werwölfe. . . diese Geschichten gingen ihr besonders nahe, weil man sie so oft das Wolfmädchen genannt hatte. Sie verschlang die Bücher und erfuhr, daß es zwar verschiedene Werwölfe gab, im Grunde genommen jedoch nur zwei Arten: solche, die dazu verdammt waren, Werwölfe zu sein. Das waren Verbrecher, auf denen ein Fluch lastete. Sie konnten nur durch die heilige Absolution oder durch eine silberne Kugel erlöst werden; und solche, die aus freien Stücken zum Werwolf werden.
Dafür gab es verschiedene Hilfsmittel: Beschwörungsformeln, die ein angeborenes Talent erforderten, um wirksam zu werden. Für andere Zauberformeln mußte es Nacht sein. Wieder andere konnten auch bei Tag oder im Licht des Vollmondes nützen. Da gab es genau vorgeschriebene Worte, die gesprochen, Diagramme und Kreise, die in den Staub gezeichnet werden mußten, Gürtel zum Umbinden und Salben, mit denen der nackte Körper einzureiben war. . .
Aber selbst die fesselndste Lektüre verliert mit der Zeit ihren Reiz. Es gab viele einsame, langweilige Stunden zu bewältigen. An einem verregneten Nachmittag beschloß sie, das Haus zu erkunden.
Sie war zehn Jahre alt und wußte kaum über die Räume in den Obergeschossen Bescheid. Die Zimmer ihrer Großmutter oder die ihrer Eltern kannte sie nicht. Genausowenig wußte sie, was sich im dritten Stockwerk oder darüber auf dem Dachboden verbarg. Aber es war ihr nicht verboten worden, auf eigene Faust nachzusehen.
An einem regnerischen Nachmittag stieg sie die Treppe hinauf . . .
Es gab herzlich wenig zu sehen: Schlafzimmer mit unbezogenen Matratzen, Zimmer, die als Rumpelkammer dienten; im dritten Stockwerk einen großen Raum mit einem hohen Buntglasfenster.
Am anderen Ende des obersten Flurs war eine Tür, die sie öffnete. Dahinter lag eine Treppe, die hinauf ins Dunkle führte. Sie fand den Schalter und knipste ihn an. Schwaches Licht reichte bis ins Dachgeschoß. Sie ging nach oben.
Nachher hatte sie immer gewußt, daß sie auch ohne ihr Bücherwissen alle Gegenstände erkannt hätte, die sie dort fand.
Auf den Regalen standen Krüge mit silbernen, roten, schwarzen, blauen, grünen und violetten Dämpfen. In allen Farben prangten sie. Und die Dämpfe in den Krügen sahen sie aus hohlen Augen an und riefen ihr aus weit aufgerissenen Mündern stumme Botschaften zu.
Es gab Räucherstäbe, Rauchbecken und das Skelett einer Katze.
Sie fand silberne Amulette und silberne Nadeln und die Statue einer aufrecht stehenden Fledermaus mit Teufelshörnern, die sich auf ihre gefalteten Flügel stützte.
Und dann gab es Hunderte Tiegel voll geheimnisvoller Salben. Einen öffnete sie, schnupperte daran und wußte, wozu die Salbe diente, weil ihr Blick im selben Augenblick auf einen Gürtel aus grauem Pelz fiel.
Sofort stand ihr Entschluß fest.
Mit heftig pochendem Herzen schlich sie die Treppe hinunter und schloß die Tür zur Dachkammer. Dann ging sie zurück, zog sich aus und legte die Kleider ordnungsliebend auf einen staubigen Stuhl. Nackt griff sie nach dem offenen Tiegel und bestrich Leib, Schenkel, Arme, Schoß und Brust mit der grünen Salbe.
Nichts geschah.
Natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, daß etwas geschehen würde. Der Versuch allein war schon aufregend genug.
Sie entdeckte einen Stock, der ein Zauberstab sein mochte. Damit zeichnete sie einen Kreis in die dünne Staubschicht auf dem Boden. In diesen Kreis zeichnete sie einen
Weitere Kostenlose Bücher