Nacht der Vampire
schwimmen, schliefen im selben Bett. Sie lag stundenlang in der Sonne und ließ sich bräunen, während er sehr viel las. Zachary Hale kam noch einmal zu Besuch, und auch Ward und Jeanne Douglas waren hier gewesen. Später hatten sie den Besuch erwidert.
Täglich fuhr Duffy unter irgendeinem Vorwand zur Stadt. Sie sah in seinen Gründen längst nichts anderes mehr als Vorwände.
Wenn er zurückkam, umgab ihn jedesmal das Parfüm. Am vierten Tag beschloß sie, ihn zu begleiten.
Das Entsetzen über den Mord hatte sich in der Stadt noch keineswegs gelegt. Die Leute kannten und erkannten Roxanne. Die Augen, die Ohren, die Finger waren nicht zu verwechseln. Sie verfiel in die alte Gewohnheit ihrer Kindheit und zupfte ängstlich das Haar über die Ohren und ballte die Fäuste, um die Fingernägel zu verbergen. Sie ging durch die glutheiße Straße, und alle Augen folgten ihr. Das Wolfmädchen war in Sanscoeurville, und Sanscoeurville beobachtete es.
Aber an jenem Tag roch Duffy bei der Rückfahrt nicht nach Parfüm.
Am nächsten Vormittag fuhr er wieder allein in die Stadt. Er hatte Bücher aus der Leihbibliothek entliehen, die er zurückgeben wollte, um sich neue zu holen. Bei seiner Rückkehr entdeckte sie wieder das eigenwillige Parfüm.
Sie spielte ihm harmlose Neugier vor. Sie schnupperte, runzelte die Stirn und fragte beiläufig: »Das ist aber ein sonderbares Parfüm oder Cologne. Woher hast du das?«
Überrascht sah er sie an: »Ich weiß es nicht. Ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Ich finde es gut. Bis auf unsere gestrige gemeinsame Ausfahrt hat es dir immer angehaftet. Wohin bist du denn mit Ausnahme von gestern täglich gegangen?«
»Keine Ahnung. Nirgends.«
Sie sah, daß er nicht log. Er hatte wirklich keine Ahnung, wo ihm der Geruch zugeflogen war. Oder falls er es wußte, hatte er es aus seinem Denken verdrängt.
Aber warum?
Sie bestand darauf, am Nachmittag allein in die Stadt zu fahren.
»Willst du das wirklich?«
»Glaubst du, ich fürchte mich?«
»Offenbar nicht, aber —«
»War nicht einer der Gründe für diesen Urlaub, daß ich den Schauplatz meines Kindheitstraumas wieder sehen sollte? Bisher bin ich immer ausgewichen.«
Sie hoffte, Duffy damit zu imponieren. Sie wollte, daß er sie für die Beharrlichkeit bewunderte, mit der sie gegen ihre Krankheit ankämpfte. Diesmal war die Fahrt in die Stadt noch unangenehmer als beim ersten Mal. Diesmal war sie allein und daher schutzloser. Außerdem entdeckte sie eindeutig den Geruch der Angst.
Es war ein eigenartig saurer Geruch bei Mensch und Tier. Ein leichter Hauch Angst hing beinahe ständig in der Luft, aber hier handelte es sich um eine neue, akute Angst, die sie auf Schritt und Tritt verfolgte. Noch ehe sie den Wagen abgestellt hatte, war sie ihr bereits aufgefallen. Dann stieg sie aus, und ein kleiner Junge lief vor ihr davon. Der Geruch war beinahe unerträglich.
Sie betrat einen Drugstore. Ihr Erscheinen löste eine Verlegenheit aus, die lächerlich gewesen wäre, wenn sie in ihr nicht eine geradezu gefährliche Wut erweckt hätte.
Nachdem sie dann noch in einigen anderen Geschäften gewesen war, hatte sie das Gefühl, die ganze Hauptstraße sei sich ihrer Anwesenheit bewußt. Die Leute begegneten ihr mit gekünstelter Ruhe, warteten ab, was sie als nächstes tun würde, und beobachteten jeden ihrer Schritte. In Duffys Gegenwart hätten sie nicht gewagt, sie derart ungeniert anzustarren. Oder sie hätte sich sicherer gefühlt. Heute jedoch . . .
Sie hassen mich, dachte sie.
Und ich hasse sie. Ich gebe zu, daß ich sie immer schon gehaßt habe, und daß — daß —
Ich wünschte, sie wären tot!
Zu einer beinahe schon vergessenen Zeit hatte sie niemanden gehaßt. Vielleicht aber trog ihre Erinnerung auch und gaukelte ihr kindische Vorstellungen vor. Ihr war nämlich, als sei sie damals zärtlich umfangen worden und warm und pelzig gewesen und hätte die Welt aus kleinen, munteren Augen betrachtet, die kaum etwas Menschliches an sich gehabt hatten.
Sicher war das bloß eine Flucht vor der Wirklichkeit. Bestimmt träumte jedes Kind irgendwann einmal davon, mit Tieren befreundet zu sein und wie ein Tier zu leben.
In ihren frühesten Kindheitserinnerungen nahmen ihre Eltern und die Großmutter natürlich einen festen Platz ein. Ihre Eltern waren Robby und Maddy gewesen. Ihre Großmutter hieß die gnädige Frau. Das galt für Besucher, für ihren eigenen Sohn und die Schwiegertochter, kurz für alle, mit Ausnahme von
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