Nacht der Vampire
dich werden.«
Was ich bezweifle, antwortete sie stumm.
Dann saß sie hinter dem Steuer und war überzeugt, sich wegen »dieser anderen« zum Narren zu machen. Aber zumindest würde Duffy es nie erfahren. War allerdings ihr Verdacht begründet.. .
Roxanne stellte den Wagen am selben Platz ab wie beim letzten Mal. Der Angstgeruch hing noch in der Luft, war aber schwächer als früher. Sie kannte den Grund dafür: nicht etwa, weil die Bewohner von Sanscoeurville sich an ihre Anwesenheit gewöhnt hatten. Es war die Hitze, die auf der Gegend lastete, die Ernte verbrannte und die Menschen gewalttätig werden ließ. Die Menschen waren so ermattet, daß ihnen die Kraft zum Hassen fehlte. Sie war verhältnismäßig sicher.
Sie betrat den Drugstore, der zum Glück klimatisiert war. Der kahlköpfige, kleine Mann hinter dem Verkaufspult blickte mit freundlichem Interesse auf und sagte: »Ja, Ma’am.« Also gab es Leute in der Stadt, die nicht wußten, wer sie war, und denen es auch gleichgültig gewesen wäre, wenn sie es gewußt hätten.
Sie verlangte Rasierklingen für Duffy und sah sich suchend um.
»Sonst noch etwas?« fragte der Ladenbesitzer.
»Ja — ich weiß nicht recht —, führen Sie auch Parfüms?«
»Sicher, sogar die besten Marken.«
Sie überlegte, was sie tun sollte. Das Parfüm erkennen und sich erkundigen, ob es häufig gekauft wurde? Und nach den Namen der Kundinnen fragen?
Sie schnupperte an jeder Flasche, die ihr der Mann reichte, obwohl sie die meisten Marken kannte.
»Mehr habe ich nicht«, sagte er. »Wir führen nicht allzu viel. Arpege, Channel — was Sie eben hier sehen.«
»Und ich könnte schwören, daß es hier noch nach einem anderen Parfüm riecht!« sagte Roxanne. Sie fühlte die Spur erkalten.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Kaum. Da müssen Sie etwas anderes riechen. Vielleicht ein Parfüm meiner Kundinnen. Alle Damen kommen irgendwann mal vorbei.«
Sie ging und schalt sich eine Närrin. Wie sollte sie eine Frau ausfindig machen, von der sie nichts weiter als das Parfüm kannte?
Ihr fiel ein, daß sie noch Brot kaufen wollte. Am besten, sie tat es gleich hier in dem kleinen Lebensmittelgeschäft.
Sie stieß die Tür auf, setzte den Fuß auf die Schwelle.
Etwas verwehrte ihr den Eintritt.
Sie hätte nicht sagen können, was es war. Sie fühlte nur, daß sie nicht durch diese Tür gehen konnte.
Waren es die gehässigen Blicke, die sie musterten? Oder ein Hitzekoller? Oder . . .
Ihr Blick glitt zum Türrahmen, über dem etwas hing.
Ja, richtig. Ein Mistelzweig.
Der alte, vertrocknete Zweig, wohl noch ein Überbleibsel von Weihnachten, hing als Schutz vor Werwölfen über der Tür. Nur mit großer Überwindung ging Roxanne unter dem Mistelzweig durch.
Ein halbes Dutzend Frauen waren in dem Laden. Sie standen wie Götzenbilder, als Roxanne eintrat. Schließlich schlugen zwei von ihnen sichtlich verlegen die Augen nieder. Der Dunst von Angst und Haß schlug Roxanne wie Giftgas entgegen. Betont langsam nahm sie zwei Brote vom Regal und legte sie zusammen mit dem abgezählten Kleingeld aufs Pult. Der Verkäufer rührte das Geld nicht an.
Roxanne schob die Brote selbst in einen Papiersack und ging wieder zur Tür. Niemand sprach ein Wort. Auch jetzt hatte sie Hemmungen, unter dem Mistelzweig durchzugehen. Sie riß ihn von der Tür und schleuderte ihn aufs Verkaufspult. »Was soll der Unsinn?« sagte sie und ging.
Ihr war richtig übel geworden. Sie stieg in den Wagen und fuhr wie eine Verrückte, um sich abzureagieren. Wenn sie wenigstens die Frau mit dem eigentümlichen Parfüm gefunden hätte! Dann hätte sie eine Zielscheibe für ihre Wut, die sich bedenklich dem Siedepunkt näherte. Moment mal: Duffy war in der Bibliothek gewesen, und danach hatte sie das Parfüm an ihm gerochen ... »Hast du Bekannte getroffen?« »Zachary und eine Frau, die in der Bibliothek beschäftigt ist. Sie waren auch im Kino . . .«
Bonnie, Jeanne und . . . hieß sie nicht Lily? Ja, Lily. Die arbeitete in der Bibliothek.
Sie stellte den Wagen in einer schattigen Seitenstraße ab und näherte sich dem Eingang der Bücherei. Ihr Weg führte sie unter einem offenen Fenster vorbei. Schwach stieg ihr das Parfüm in die Nase, nach dem Duffy gerochen hatte.
Ich muß mich irren, dachte sie bestürzt. Ich habe doch nie im Ernst angenommen, daß Duffy . . . Sicher gibt es eine völlig harmlose Erklärung. Er liest eben viel, deshalb muß er täglich hierher . . .
Aber von müssen war
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