Nacht der Vampire
einen Blick ins Schlafzimmer, wo Duffy sich soeben, frisch gebadet, umzog. Für sie, dachte sie.
Um halb neun kam Duffy nach unten.
»Macht es dir bestimmt nichts aus?« erkundigte er sich. Die Frage war einzig von der Höflichkeit diktiert und nicht ernst zu nehmen. Roxanne spürte es genau.
»Durchaus nicht.«
»Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, aber hoffentlich nicht allzu lange.«
»Mach dir deshalb keine Sorgen. Amüsier dich nur. Es sind doch durchwegs alte Freunde von dir, nicht wahr?«
Er sah sie beunruhigt an. »Ich laß dich nicht gern so allein. Vielleicht möchtest du doch mitkommen —«
»Nein. Du hast mir deutlich zu verstehen gegeben, daß ich nur stören würde.«
»Das habe ich nie behauptet!« sagte er beleidigt.
Sie seufzte, als sei ihr die Haarspalterei zu mühsam. »Na schön, vielleicht habe ich mich zu scharf ausgedrückt. Jedenfalls hast du gesagt, es wäre besser, wenn ich nicht mitkäme —«
»Zack will einige sehr unerfreuliche Themen anschneiden, die dich unter Umständen aufwühlen könnten. Deshalb mein Zögern.«
Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt und einen scheinheiligen Lügner geheißen. In letzter Sekunde zügelte sie ihre Wut. »Aber sicher«, sagte sie fügsam. »Du bist der Arzt. Wir wollen nicht unvernünftig sein. Ich bleibe hier.«
»Und ich beeile mich.«
»Nein«, hörte sie sich starrsinnig sagen. »Ich will nicht, daß du dich meinethalben hetzt. Ich kann sehr gut für mich selber sorgen und sehe nicht ein, weshalb du nicht den ganzen Abend mit deinen Freunden verbringen sollst. Meinethalben auch die ganze Nacht, wenn es dir Spaß macht.« In Gedanken fügte sie sofort hinzu: Das hätte ich nicht sagen sollen!
Duffy sah sie gequält an. Dann zuckte er aufseufzend die Achseln.
»Was hast du?« fragte sie, gegen ihren Willen. »Habe ich etwas Verkehrtes gesagt?« Du lieber Gott, konnte sie denn den Mund nicht halten? Ihr war beinahe, als ob ihr ein fremder Einfluß Gift auf die Zunge legte.
»Nein, nein, durchaus nicht.«
Kurz darauf sah sie Duffy fortfahren. Die Sonne war längst untergegangen. Es wurde rasch dunkel. Die Hitze aber war geblieben. Roxanne fühlte sich entsetzlich einsam und verlassen.
Vor ihr lag eine endlose Nacht, während Duffy und diese Person . . . Töten! Töten! Die schrecklichen Gedanken machten sich selbständig wie böse Geister, die sie zu unterjochen trachteten.
Womit hatte sie das nur verdient, fragte sie sich stumm. Zugegeben, sie war krank. Aber war das ihre Schuld? Unter den gegebenen Umständen war es wohl unvermeidlich, daß er eine andere kennenlernte. Wenn sie selbstloser und einsichtsvoller wäre, müßte sie wohl noch dankbar dafür sein. Aber sie war weder abgeklärt noch eine Heilige. Zwar wünschte sie Duffy alles erdenklich Gute, aber wenn dazu eine andere Frau gehörte . . .
Ich bring sie um! schwor sie sich. Ich tu’s!
Duffy fuhr langsam durch die samtige Dunkelheit. Ihm blieben noch einige Minuten bis zu seiner Verabredung mit Lily. Er brauchte die kurze Pause, um den Abschied von Roxanne zu verdauen.
Er hätte ihr nicht verboten mitzukommen, wenn sie es verlangt hätte. Außer Lily traf er heute abend noch vier andere Leute. Unweigerlich würden sie von geheimen Sekten, von Flüchen und Werwölfen reden. Das war nichts für Roxanne.
War sein einziger Beweggrund aber wirklich nur die Angst um Roxanne? Nein, gestand er sich unbehaglich ein. Dahinter steckte der Wunsch, mit Lily allein zu sein. Es war sinnlos, sich etwas vormachen zu wollen. Tatsache war, daß er Lily täglich traf. Er wollte mit ihr beisammen sein. Er wollte sie nicht verlieren.
Er fuhr zur Nordseite der Bücherei. Kurz darauf ging das Licht im Leseraum aus. Komisch, dachte er, wie sich die in der Kindheit anerzogene kleinstädtische Diskretion nach Jahren wieder bemerkbar macht. Er wartete lieber im unbeleuchteten Wagen auf Lily, als sie in der Bibliothek aufzusuchen. Schließlich war er verheiratet und nur vorübergehend hier, während sie ledig war und ständig hier wohnte. Zwar übertrieben sie die Vorsicht nicht, aber sie achteten doch darauf, dem Klatsch keine Nahrung zu geben.
Aus diesem Grund fand die Zusammenkunft auch nicht im Hotel statt. Zachary hatte sowohl den Speisesaal und die Hotelbar abgelehnt als auch sein Zimmer. Das wäre nach den Maßstäben von Sanscoeurville wieder zu verschwiegen. Das Sommerhaus der Douglas eignete sich am besten für ihre Zwecke.
Er sah Lily unter den Bäumen.
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