Nacht der Versuchung
sind wir komplett!«
Margit fuhr ein Schauer über den Rücken. Ohne sich nach der Sprecherin umzusehen, riß sie sich mit einem Ruck los und betrat das Lokal.
Eine Wolke von Rauch, Alkoholdunst und billigem Parfüm schlug ihr entgegen. Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich in dem schummerigen Licht zurechtzufinden. Dann sah sie die billigen Papierdekorationen von der Decke hängen: ausgestopfte Krokodile und Affen, ein paar zerbrochene Ruder und einen Rettungsring. Sah die Nischen, fast dunkel, in denen man verschlungene Gliedmaßen mehr ahnte als wirklich beobachten konnte. Im Hintergrund spielte eine Drei-Mann-Kapelle auf einem rot beleuchteten Podium. Davor, auf einer winzigen Tanzfläche, schoben sich einige Paare, eng aneinandergepreßt, hin und her und küßten sich ab und zu. Ein Kellner in einer schmierigen Schürze trat auf Margit zu und musterte sie kritisch.
»Ohne Mann keenen Zutritt!« sagte er und wedelte mit der schmutzigen Serviette. »Bist wohl neu hier, wat?«
»Ich bin verabredet«, sagte Margit mit allem Mut. Sie sah sich um. Fred Pommer war noch nicht da. Es war überhaupt fraglich, ob er heute kommen würde.
»Verabredet? Ach so.« Der Kellner wackelte mit der Nase. Wat janz Vornehmes in unserem Puff, dachte er. Verabredet. Muß ein schöner Ganove sein, der ein Mädchen jenseits der Branche nach hierher einlädt. »Ich hab' noch 'ne Loge frei, von der können Se die Tür sehen«, sagte er und zeigte auf eine der dunklen Nischen. »Da stört Se niemand, wenn Se nich wollen. Wat soll's denn sein?«
»Bringen Sie irgend etwas.«
»Sekt! Kann der Knabe och bezahlen?«
»Ich bezahle selbst.«
»Det is'n Wort.«
Der Kellner machte eine Verbeugung, führte Margit in die dunkle Nische und schlurfte zurück zum Tresen.
Fast eine Stunde wartete Margit Bernhardt, nippte nur an ihrem Glas und mußte dreimal, um aufdringliche Gäste abzuwehren, die Hilfe des Kellners in Anspruch nehmen, ehe Fred Pommer kam.
Er betrat das Lokal nicht allein. In seinem Arm hing eine üppige ältere Blondine, schon ein wenig angetrunken und auf unsicheren Beinen. Pommer hieb dem Kellner auf die Schulter, grinste breit und sagte so laut, daß es die nächsten Gäste hören konnten: »Noch 'ne Ecke frei für mich und das goldene Kalb?« Dabei lachte er und strich der Blondine ungeniert über den üppigen Busen.
In diesem Augenblick sah er Margit Bernhardt.
Er sah sie nicht ganz … er wurde wie mit einem Magnet zu der dunklen Nische hingezogen und bemerkte nur zwei große Augen in einem blassen, schmalen, in der Dunkelheit verschwimmenden Gesicht. Und doch wußte er sofort, wer dort saß. Er ließ seine Begleiterin los, wischte sich über das Gesicht, winkte dem Kellner und nickte mit dem Kinn. Dann ging er auf Margit zu und starrte sie aus seinen blauen Augen fragend an. Die Blondine wurde von dem Kellner in eine andere Nische geführt. Ihr ordinäres Lachen flatterte durch das Lokal. Der Kellner schien einen deftigen Witz erzählt zu haben.
»Fred!« sagte Margit leise. »Hier also bist du.«
Fred Pommer schob die Unterlippe vor und sah sich kurz um. Es war wie das Sichern eines gehetzten Tieres.
»Was willst du?« fragte er leise. »Verdammt noch mal, wer hat dir meine Adresse gegeben?«
»Ist das jetzt so wichtig? Wie kommst du hierher? In diese Kaschemme? Hast du das nötig?«
»Willst du Moral predigen? Bist du jetzt bei der Heilsarmee? Was willst du überhaupt hier?«
»Ich wollte dich wiedersehen. Weiter nichts. Nur dich sehen und vielleicht dich sprechen.« Margits Hände zitterten um das Sektglas. »Ist das ein so verwunderlicher Wunsch nach dem, was gewesen ist?«
»Was ist denn gewesen?« Fred Pommer leckte sich über die Lippen. Er hatte Durst, und außerdem war es ihm peinlich, hier zu stehen. Zu viele Augen sahen ihm zu. »Komm mit … auf den Hof … da sind wir allein«, sagte er leise. »Gleich die nächste Tür. Oder willst du hier eine Szene machen?«
»Nein, Fred.« Margit stand auf. Pommer schob sie vor sich her, drückte eine Tür auf, ein enger Gang, noch eine Tür, dann ein Hof, voll von Kisten und Abfall. Erschreckt sprang eine Katze davon und verkroch sich in einer dunklen Ecke.
»So, nun sind wir allein. Was ist denn?« Pommers Stimme hatte den zärtlichen Zauber verloren, mit dem er den Mondschein über dem Meer geschildert hatte. Sie klang nun rauh und herrisch. »Was hast du dir dabei gedacht, als du hierhergekommen bist?«
»Ich wollte dich sehen.«
Margit lehnte sich
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