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Nacht der Versuchung

Nacht der Versuchung

Titel: Nacht der Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schwarzes Wasser, durchsetzt mit schillernden Ölflecken. Ein Brett trieb träge vorbei. Dann ein halb verfaulter Kohlkopf. Es stank nach Abwässern und Benzin.
    »Ich will nicht, Mama«, sagte Margit leise und legte beide Hände über die brennenden Augen. Sie fühlte die klebrige Kruste an der Stirn, und diese Berührung riß etwas in ihr auf und machte sie unendlich mutig. »Ich will nicht mehr leben!« sagte sie laut. »Wie gemein das alles ist. Wie gemein. Ich kann nie mehr zu euch zurück …«
    Sie schwankte ein wenig. Ihre Zehen in den Schuhen krallten sich zusammen, es war der letzte Widerstand, das letzte Aufbäumen, die letzte Angst.
    Dann fiel sie vornüber in das schwarze Wasser, und im Fallen noch biß sie sich in den Handballen, um nicht aufzuschreien, sondern stumm zu sterben.
    Sie hörte schon nicht mehr die Stimme, die vom Lagerhaus aus schrie: »Lassen Sie doch den Blödsinn, Fräulein!«
    Das Wasser schlug über ihr zusammen, es war kalt, es zerriß sie in tausend kleine Teile, sie meinte zu explodieren, dann wußte sie nichts mehr und war nur noch ein treibender Körper zwischen Ölflecken, einem Brett und einem halb verfaulten Kohlkopf.
    *
    »So ein blödes Luder!« schrie der Lagerarbeiter Hein Focke und warf gleichzeitig seine Jacke auf die Steine der Mole. Er hatte den Sturz Margits ins Wasser um Sekunden verfehlt und starrte nun auf den Körper des Mädchens, der in dem schmutzigen Hafenwasser untertauchte.
    Um sie von der Spitze der Mole aus noch zu erreichen, fehlte Focke eine lange Stange. Er zögerte nur eine Sekunde, streifte die Hose ab und sprang in Unterhosen und Hemd dem Mädchen nach. Nach zwei kräftigen Schwimmstößen hatte er Margit erreicht und faßte zu, als der Körper wieder auftauchte. Er packte sie am rechten Arm und an den langen goldblonden Haaren, zog sie zu sich heran und wollte sie auf den Rücken drehen. In diesem Augenblick schrie das Mädchen auf, es schlug um sich, trat und kratzte und machte es Hein Focke unmöglich, sie länger festzuhalten.
    »Ein Teufelsding!« keuchte er. »Himmel noch mal!« Er tauchte, ergriff unter Wasser noch einmal den wieder wegsinkenden Körper, drückte ihn nach oben und tat dann das einzige, was in seiner Lage möglich war: Er zog Margits Kopf an sich heran und schlug ihr mit der Faust auf das Kinn.
    Der Körper streckte sich, das letzte Aufbäumen erlosch. Wie einen schweren Baumstamm zog Hein Focke das Mädchen zur Mole, schob es auf die Steine und kletterte dann selbst aus der schmierigen Hafenbrühe.
    »Man soll es nicht für möglich halten!« keuchte er. »Eigentlich sollte man so etwas einfach ersaufen lassen!« Er zog, nachdem er sich nach allen Seiten umgesehen hatte, seine nasse Unterhose aus und schlüpfte in seine Anzughose. Dann hob er Margit auf den Rücken und lief mit ihr zum Lagerhaus zurück. Dort legte er sie auf einen Tisch, der tagsüber als Packtisch für Elektroschalter diente, und rief den am nächsten wohnenden Arzt und die Polizeiwache an.
    Sie trafen fast gleichzeitig am Lagerhaus ein.
    Während der Arzt das unbekannte Mädchen entkleidete und untersuchte, es mit Hilfe zweier Polizeibeamter auf den Bauch legte und zunächst das Wasser aus dem Magen und den Lungen pumpte, untersuchte der Streifenleiter, ein Hauptwachtmeister, die Kleider und die Tascheninhalte der Selbstmörderin.
    »Nichts«, sagte er und warf die nassen Sachen auf einen Stuhl neben dem Tisch. »Keinerlei Papiere. Der einzige Anhalt sind die Etiketten im Kleid und im Mantel. Kennen Sie das Mädchen?«
    Hein Focke schüttelte den Kopf. »Wenn ich sie kennen würde, Herr Wachtmeister, wäre se nich ins Wasser gesprungen.« Er schielte zur Seite. Der Arzt hatte Margit wieder auf den Rücken gedreht und gab ihr aus einer kleinen Stahlflasche Sauerstoff. Er hielt einen Plexiglastrichter an die fahlen Lippen und zwang durch Auf- und Niederdrücken des Brustkorbes die Lunge, den frischen Sauerstoff einzuatmen. »Ich stehe am Fenster, ganz zufällig, weil ich mir gerade eine Pfeife angemacht hatte – so 'ne Nachtwache ist nämlich lang, Herr Wachtmeister –, da sehe ich se kommen. Se rennt, als jage einer hinter ihr her. Aber es war keiner da. Ganz allein hetzt se auf die Mole, starrt ins Wasser. Nanu, denke ich, das geht nich gut. Ich raus aus der Bude, schrei noch: ›Lassen Se den Blödsinn, Frollein!‹, aber die hört nich, kippt nach vorn und ist weg im Wasser. Scheiße, habe ich da gebrüllt! Bin hin und hab se rausgefischt. Tja, das ist

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