Nacht der Versuchung
seine üppige Blondine zu einer Reise nach Mallorca. Er schilderte ihr in allen Farben, wie wunderschön es dort sei, wie billig man dort Häuser kaufen könne, wie gesund das Klima sei und welch ein Paradies von Liebesnest ein eigenes Häuschen am Mittelmeer werden könne, umrauscht von blauen Wellen und grünen Palmen. Braune Körper auf weißem Strand, du und ich, und der Mond … Liebe unter blühenden Kamelienbüschen, und die Zikaden zirpen dazu …
Dora war begeistert. Sie gab Pommer das Geld für die Flugkarten und rief ihre Schneiderin an.
Als Margit aus dem Park-Sanatorium von ihren Eltern und Klaus Blankers abgeholt wurde, schwebten Dora und Fred Pommer durch den blauen Spätsommertag über Frankreich. Ziel: der Flugplatz von Las Palmas.
Zurück ließ Pommer eine tobende Hotelwirtin, die ihn am gleichen Tag noch bei der Polizei anzeigte wegen Zechprellerei und Scheckbetrug.
Die letzte dunkle Wolke schien von Margit weggezogen zu sein.
*
Hubert Bernhardt und mit ihm alle, die in Margits Nähe waren, befolgten strikt den Rat Professor Schwades, Margit nicht nach den Motiven ihrer Tat zu fragen. Nach eingehenden Beobachtungen waren Schwades Ärzte wie er selbst zu der Überzeugung gekommen, daß eine völlige Überbelastung der Nerven, wahrscheinlich durch das Abitur, die Ursache der Kurzschlußhandlung – eine Handlung unter psychotischem Zwang – gewesen war. Baurat Bernhardt nahm diese Diagnose zur Kenntnis, aber sie befriedigte ihn nicht. Ein Fleckchen Geheimnis blieb trotz aller wissenschaftlichen Deutungen übrig. Einige ungeklärte Fragen gaben Rätsel auf.
Wo war Margit vor ihrem Selbstmordversuch? Wie kam sie in diese entlegene Ecke des Hamburger Hafens? Die Tascheninhaltsangabe der Polizei hatte nichts ergeben … keinen Kinoschein, kein Bonbonpapier, gar nichts, was etwa auf einen Filmbesuch vor der Tat hinweisen konnte. Da auch niemand im Haus wußte, wann Margit weggegangen war, blieb eine deutliche Lücke. Eine Lücke, die nur Margit selbst schließen könnte – wenn sie sprechen würde.
Aber das tat sie nicht. Sie erwähnte diesen Vorfall nie mehr. Es war, als habe es ihn gar nicht gegeben.
Mit Blankers' großem Reisewagen fuhren Klaus und Margit in die Lüneburger Heide. In dem Dorf Wulfbüttel mußten sie den Wagen zurücklassen, denn das Naturschutzgebiet durfte nicht mit Motorfahrzeugen durchfahren werden. Ein paar Trecker der Heidebauern, die dennoch fuhren, hatten eine besondere Genehmigung am Fahrzeug kleben.
Margit wunderte sich, wie umfassend und schnell Klaus Blankers alles vorbereitet hatte. Beim Wirt von Wulfbüttel, der den Reisewagen in die Garage nahm, stand bereits eine hochrädrige, zweispännige, offene Kutsche im Hof. Zwei Schimmel wurden gerade getränkt und schlappten das Wasser aus den Eimern.
»Unsere Hochzeitskutsche«, sagte Klaus Blankers mit ein wenig Galgenhumor. »Auf jeden Fall haben wir zwei Schimmel.«
Margit trat an die Pferde heran und kraulte ihnen die Mähne. Ein Hausknecht verlud unterdessen das Gepäck vom Auto in den Pferdewagen.
Diese Reise wird mein Leben ändern, dachte Margit und legte die Stirn an den warmen, zuckenden Schimmelhals. Ich fahre in wenigen Minuten in einen neuen, langen Abschnitt meines Lebens. Die Welt wird ganz anders aussehen, wenn wir zurückkehren aus der Einsamkeit der Heide … Klaus und ich.
Wie gewohnt das klingt, wie selbstverständlich: Klaus und ich.
Es ist, als habe es gar nichts anderes gegeben in meinem Leben als ihn. Ich fühle mich so sicher, wenn er bei mir ist. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo noch Angst zu haben, sobald er den Arm um mich legt. Die Welt ist so einfach, so unkompliziert, so hell, wenn er da ist.
Und dabei hat er mich noch nicht ein einziges Mal gefragt: Hast du mich lieb? – Nur in seinen Augen sehe ich die Frage, und meine Augen antworten ihm: Ja.
Wenig später fuhren sie über die sandigen Heidewege hinein in die Stille. Vor ihnen leuchtete violett das Land und verschmolz mit dem blauen Himmel. Kleine Birkenwäldchen, Holundergruppen, sanfte Hügel und Dünen mit Heidekraut bewachsen, dazwischen leuchtender, fast weißer Sand und niedriges Kieferngehölz. Ein Sperber kreiste unter dem weiten Himmel. Vor den knarrenden Holzrädern des Wagens huschten Eidechsen mit gelb und grün schillernden Leibern über den Weg.
»Es ist wunderbar, Klaus«, sagte Margit und lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie saßen auf dem Bock. Klaus lenkte die Pferde; er war ein geschickter
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