Nacht der Versuchung
vorbei war, aber sie empfing ihre Freundinnen, und das große Krankenzimmer war voller Lachen und Musik. Ursula Fürst hatte ihren Plattenspieler mitgebracht, Babs Heilmann legte einen heißen Solotanz hin, und sooft sich die Stationsschwester über den Lärm beschwerte, erklärte Professor Schwade: »Schwester Sophie, auch wir alten Psychiater lernen nie aus. Der modernen Jugend kann man nicht mit erbaulicher Lektüre kommen, sie hat andere Stimulanzien. Ein bißchen schräge Musik, ein Wackeln mit Beinen und Hintern fördert die Heilung oft stärker als ein ganzer Schrank von Pillen.«
»Morgen komme ich zum letztenmal«, sagte Babs Heilmann nach einer Woche. »Mein Alter verfrachtet mich nach England. Zu einer Lordfamilie. Ich soll dort mein Englisch vervollständigen. Hat gar keinen Sinn, ihm das auszureden, er ist ein Dickkopp. Übermorgen schwirre ich ab, per Zug nach Calais und dann auf die Insel mit dem Schiff. Sobald ich Fuß gefaßt habe, schreibe ich euch, wie doof es da drüben ist.«
Das war Babs Heilmann. Ein halber Junge in Mädchenkleidern und mit einem ausgesprochen weiblichen Körper. Margit und Uschi lachten laut. Dann feierten sie Abschied mit Kaffee und Kuchen und schworen sich, immer Freundinnen zu bleiben … selbst wenn sie einmal Großmütter sein würden.
Jeden Tag kam auch Klaus Blankers. Er brachte immer Blumen und Obst mit und blieb, bis die Stationsschwester sagte: »Herr Blankers, nun wird es aber wirklich Zeit!«
Es waren Tage, in denen Margit spürte, wie nötig sie Klaus hatte. Wenn er sich etwas verspätete, stand sie ungeduldig am Fenster und lauschte, ob sie nicht seinen Wagen vorfahren hörte.
Ich liebe ihn, dachte sie, wenn sie dann später wieder allein war und die Schatten des Abends durch das vergitterte Fenster krochen. Mein Gott, jetzt weiß ich, was Liebe ist. Man muß fühlen, daß einem der andere fehlt. Man muß auf ihn warten und die Minuten zählen, bis er kommt. Und man muß ein schweres Herz haben, wenn er wieder geht. Was dazwischen liegt, ist das Glück, ihn zu sehen, zu hören, zu fühlen.
Das ist die Liebe!
»Am Sonntag können Sie entlassen werden, Margit«, sagte Professor Schwade, nachdem ihm Klaus Blankers mitgeteilt hatte, daß er eine Heidekate gemietet habe, mitten im Naturschutzgebiet. Ein jahrhundertealtes Haus mit Petroleumlampen und einem eigenen Brunnen. Hier war die Welt stehengeblieben, weil die Natur mit anderen Zeitmaßen rechnet.
»Sie sind gesund«, fügte Professor Schwade noch hinzu.
Margit gab ihm lächelnd die Hand. »Ich danke Ihnen für alles, Herr Professor. Ja, ich bin gesund. Ich spüre es selbst. Ich muß damals durch irgendeinen dunklen Tunnel gegangen sein, ohne Hoffnung, daß draußen immer wieder die Sonne scheint. Aber sie scheint, und alles ist wundervoll.«
*
In diesen Tagen hatte Ursula Fürst ein kurzes Telefongespräch mit ihrem Vetter Fred Pommer.
»Weißt du, daß Margit Selbstmord begehen wollte?« sagte sie ohne Einleitung.
Am anderen Ende der Leitung war eine Sekunde Stille. Dann die Stimme Pommers, gedehnt und unsicher: »Nein. Wieso denn?«
»Das frage ich dich.«
»Mich? Erlaube mal!«
»Sie ist ins Wasser gegangen. Im Hafen. Noch weiß keiner, wieso sie zum Hafen kam. Weißt du es?«
»Dämliche Ziege!« Pommers Stimme wurde schrill. »Was geht es mich an, wenn solch ein Weibsstück durchdreht? Ich habe deine Margit seit damals an der See nicht wieder gesehen. Warum auch? Junges Gemüse ist nur als Nahrung interessant.«
»Hör einmal zu, Fred!« Die Stimme Ursulas war kalt und deutlich. »Wenn du mit der Sache etwas zu tun hast, wenn du Margit doch in jener Nacht, wo ihr allein im Ferienhaus wart, überwältigt hast, wie damals mich, wenn Margit darum ins Wasser gegangen ist, dann gnade dir Gott!«
Schweigen. Pommers Stimme klang gepreßt, als er endlich antwortete.
»Laß dieses dumme Zeug, Usch. Ich habe andere Sorgen. Wenn ich dir versichere, daß ich Margit nicht – «
»Du lügst mit jedem Wort. Das kenne ich.« Ursulas Stimme wurde schneidend. »Fred … noch ahnt keiner, was ich ahne. Aber wenn ich die Wahrheit erfahre – ich nehme keine Rücksicht mehr, ich erzähle alles, auch das von uns. Und du kennst meinen Bruder Hans. Er wird nicht zögern, dir alle Knochen zu brechen.«
Sie hängte ein, ohne auf Pommers Antwort zu warten. Sie brauchte sie nicht. Er wußte auch so, daß es ihr ernst war mit der Drohung.
Fred Pommer handelte dementsprechend auch sehr schnell.
Er überredete
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