Nacht der Versuchung
Pommer sich in der Fabrik betont im Hintergrund. Die Direktoren führten die Geschäfte in dieser Zeit provisorisch weiter; einen offiziellen Stellvertreter des Chefs gab es nicht, der jetzt die Firmenleitung automatisch in die Hand genommen hätte. Die Stimmung in den Büros war gedrückt, man sprach leiser als sonst miteinander, hier und da begann man sich bereits verstohlen gegenseitig zu belauern.
Dann kam die große Direktorenkonferenz. Pommer als Assistent des verunglückten Chefs wurde mit hinzugeladen. Bescheiden lächelnd betrat er den großen Sitzungsraum, warf einen langen, schmerzumflorten Blick auf Blankers' leeren Sessel am Kopf des langen Tisches und setzte sich dann auf einen freien Platz, neben den Syndikus Dr. Preußig.
Zunächst wurden nur betriebliche Einzelheiten besprochen, Routinekram. Dann endlich räusperte sich Dr. Preußig, zog heftig an seiner Zigarre und sagte langsam: »Meine Herren … da unser verehrter Chef nicht mehr unter uns sein kann, wird die Frage nach dem Nachfolger akut. Einer von uns muß künftig das Werk von Herrn Blankers weiterverwalten. Die junge Frau Blankers tritt zwar juristisch in die Rechte ihres Mannes ein, solange seine Mutter krank in Amerika liegt. Aber sie hat mich ausdrücklich gebeten, zunächst alle Firmenangelegenheiten möglichst von ihr fernzuhalten. Zumal Frau Blankers noch zuwenig von diesen Dingen versteht.«
Dr. Preußig räusperte sich, machte eine Pause. »Tja … es ist also so, daß wir uns hier intern über die vorläufige Firmenleitung einig werden müssen.«
In diesem Moment meldete sich überraschend Fred Pommer zu Wort. Mit gutgespielter Verlegenheit erhob er sich von seinem Stuhl, blickte in die Runde und sagte dann: »Meine Herrn! Wie Sie wissen, hatte ich in den letzten Monaten die Ehre, besonders eng mit unserem auf so tragische Weise von uns gegangenen Chef zusammenzuarbeiten. Es entwickelte sich ein echtes Vertrauensverhältnis …«
Er unterbrach sich sekundenlang, als er den konsternierten Blick des Syndikus sah und die ungläubigen, entsetzten, entrüsteten Blicke der anderen Direktoren. Na wartet, dachte er heimlich. Euch lege ich alle aufs Kreuz. Dies ist meine Stunde, auch wenn ihr es jetzt noch nicht merkt.
»Es mutet heute wie ein makabrer Zufall an«, fuhr er fort, »daß Herr Blankers auf unserer Schwedenreise über das Problem sprach, das heute tatsächlich zur Debatte steht. Es war im Flugzeug, wir unterhielten uns ganz allgemein über die Gefahren des modernen Lebens und so weiter. Plötzlich sagte er: Herr Pommer, wenn mir mal etwas zustoßen sollte – bitte, kümmern Sie sich weiter um meine Fabrik.«
Pommer machte eine ergriffene Pause und senkte den Kopf. »Heute ist es an mir, dieses Versprechen einzulösen, meine Herren.«
»Mit anderen Worten: Sie, Herr Pommer, wollen sich plötzlich zum Generaldirektor aufschwingen, wie?« Der kaufmännische Direktor fuhr auf. Seine Kollegen fielen mit Protestrufen und bissigen Bemerkungen ein. Minutenlang war die würdige Direktorenkonferenz in ein Wespennest verwandelt.
Pommer lächelte mokant. »Aber meine Herren! Ich würde niemals so unbescheiden sein. Ich habe nur versucht, korrekt das wiederzugeben, was als einziges konkretes Vermächtnis von Herrn Blankers vorliegt.«
Es wurde noch eine stürmische Sitzung. Irgendwann hob Dr. Preußig die Konferenz auf. Wenige Minuten später saßen sie alle, mit Ausnahme Pommers, in Preußigs Arbeitszimmer zusammen.
»Ich gehe!« rief der kaufmännische Leiter. »Wenn es tatsächlich dazu kommt, daß dieser hergelaufene Rotzjunge mir vor die Nase gesetzt wird, dann mache ich Schluß! Wenn Sie, meine Herren, das mitmachen – ich nicht!«
»Ich auch nicht!« Der Chef der Forschungsabteilung legte die Fäuste auf den Tisch. »Ich fahre jetzt erst einmal in Urlaub. Mir stehen sowieso noch zwei Monate Urlaub zu.«
»Solange dieser Pommer hier ist, betrete ich die Fabrik nicht mehr!« Der Direktor des Verkaufsbüros knöpfte sein Jacke zu.
»Meine Herren! Meine Herren!« Dr. Preußig war der einzige, der in diesen erregten Minuten nüchtern dachte. »Lassen Sie sich doch nicht von Ihrer Empörung hinreißen! Bedenken Sie: Wir arbeiten nicht für diesen Pommer, sondern für die Blankers-Werke, für die Familie unseres Chefs. Wollen Sie Frau Blankers in dieser verzweifelten Situation im Stich lassen?«
Die Direktoren schwiegen betreten und gingen wieder zu ihren Abteilungen. Am Nachmittag aber reichten sie vorsorglich eine
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