Nacht der Versuchung
schnupperte nochmals und zog die Nase kraus.
»Er stinkt nach Alkohol!« sagte Dr. Lopez verblüfft. »Der Kerl stinkt nach Suff! So lange nach dem Unfall noch … unglaublich, was der gesoffen haben muß!«
Er gab dem Unbekannten noch einmal eine Herzinjektion und machte sich dann daran, irgend etwas zu kochen.
Als er in die Küche kam, stand dort am Herd schon ein junges Mädchen mit langen, offenen, windzerzausten schwarzen Haaren. In einer Pfanne brutzelte Fleisch, über dem Feuer siedete Wasser.
»In einer halben Stunde können Sie essen, Don Lopez«, sagte das Mädchen.
Dr. Lopez schob seinen Strohhut brummend in die Stirn. Er war über das Alter hinaus, wo man bemerkt, wie hübsch das Mädchen war trotz der vielfach geflickten Bluse und des ausgefransten Rockes, der Strohsandalen und der nackten braunen Beine. Es hatte feurige Augen und den Körper einer Zigeunertänzerin, einen Mund mit vollen roten Lippen und eine Haut wie hellbrauner Samt.
»Wer hat dir erlaubt, hier zu sein?« brummte Lopez. »Ich koche mir allein, also raus, Estrella!«
»Mein Vater sagt, jetzt, wo der Kranke bei Ihnen ist, könnte ich Ihnen helfen.« Estrella wendete das Fleisch in der Pfanne. Das Fett zischte, und es roch köstlich. »Zu Hause haben wir genug Hände. Aber für Sie wird es zu viel.«
»Dein Vater soll Fische fangen!« bellte Dr. Lopez. »Was kümmert er sich um mich? Sag ich dem Juan Cortez, daß er falsche Netze nimmt, wenn er auf Thunfisch geht? He?!« Lopez wendete sich um, aber an der Tür drehte er den Kopf zurück. »Wann ist das Essen fertig, Töchterchen?«
»In zwanzig Minuten, Don Lopez.« Estrella lachte. Dann wurde sie ernst, Schatten senkten sich über das schöne Gesicht. »Und was soll ich für den Fremden kochen?«
»Für den? Nichts.« Dr. Lopez winkte mit beiden Händen ab. »Der braucht nichts mehr zu essen, der beißt noch heute ins Gras …«
*
In der Hamburger Geschäftswelt schlug die Nachricht vom Tode Klaus Blankers' wie eine Bombe ein. Die Zeitungen berichteten im Lokalteil über den Hergang des Unfalles. Daß der junge Unternehmer den Sturz in die Tiefe nicht lebend überstanden hatte, daran zweifelte niemand.
In der Villa an der Elbchaussee hatte der Diener Karl drei Tage lang zu tun, um all die Beileidsbesuche höflich, aber bestimmt abzuwimmeln. »Frau Blankers ist krank«, sagte er immer wieder. »Sie bittet um Entschuldigung, daß sie Sie nicht empfangen kann …«
Margit war nicht krank. Aber sie hatte sich völlig isoliert, wollte niemanden sehen außer ihren engsten Angehörigen, verließ das Haus keine Minute lang. Nachts schlief sie auf einer Couch in der Bibliothek. Es war ihr unmöglich, sich ins Schlafzimmer zu legen, neben das leere Bett ihres Mannes. Es hätte sie seelisch zerbrochen.
Ihr einziger Trost war in diesen furchtbaren Tagen Monika, das Kind. Stundenlang saß sie am Bettchen der Kleinen, hielt die warmen, weichen Händchen fest, streichelte das runde, rosige Gesichtchen. Wenn es draußen nicht regnete, fuhr sie Monika ab und zu mit dem Kinderwagen im Garten der Villa spazieren. Der November ging seinem Ende zu, es roch nach vermodertem Laub, nach Begräbnis und Vergänglichkeit. Margit hielt es nie lange aus hier draußen und kehrte immer wieder rasch ins Haus zurück.
»So geht das nicht weiter«, sagte Baurat Bernhardt eines Abends. »Es muß etwas geschehen. Sie wird uns ja noch wahnsinnig.«
Aber was geschehen mußte, wußte keiner. Auch der Hausarzt hob die Schulter. »Man sagt sonst, Tapetenwechsel sei die beste Medizin, andere Menschen, Luftveränderung, Abwechslung! Das alles trifft auf Frau Blankers nicht zu. Es würde ihren Zustand nur noch verschlimmern. Wenn man nur wüßte, woher diese seltsame Starrheit bei ihr kommt. Der Tod ihres Mannes allein kann es nicht sein. Da muß noch eine andere gewaltige seelische Erschütterung vorliegen.«
Lisa Bernhardt glaubte den Grund zu kennen. Als sie einmal mit ihrer Tochter allein in der Bibliothek saß, sagte sie: »Kind, du darfst dir keine Vorwürfe machen. Rede dir bloß nicht ein, dieses Unglück sei die Strafe des Schicksals, weil du nicht ehrlich zu Klaus warst. Das ist doch dummer Aberglaube. Du hast Klaus aufrichtig geliebt, nur das zählt!«
Aber Margit hörte kaum hin. »Ach, laß doch, Mutter«, sagte sie nur mit tonloser Stimme. »Warum müßt ihr alle so viel reden …«
Sie verließ schnell das Zimmer, ging zu dem Kind und schloß sich ein.
*
Eine knappe Woche lang hielt Fred
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