Nacht der Versuchung
Fernando darüber zu sprechen.
An diesem Tag saßen Fernando und Estrella am Boot, sahen über das Meer und schwiegen lange. Estrella hatte sich in den Sand gelegt, der zerschlissene, ausgebleichte, geflickte Rock war hoch über ihre Schenkel geglitten, unter der ehemals roten Bluse spannten sich die festen, runden Brüste. Es war ein gesundes junges Frauenzimmer mit dem Zauber einer Zigeunerin aus der Sierra Nevada.
»Erzähl von dir«, sagte sie und faßte nach dem nackten Fuß Fernandos.
Er lächelte zu ihr hinunter und hob die Schultern.
»Ich weiß nichts, Estrella.«
»Woran denkst du, wenn du übers Meer blickst?«
»Ich denke, wie es hinter dem Meer aussehen mag. Ich kenne die Länder dort alle mit Namen, und ich versuche, mich zu erinnern, woher ich sie kenne. Aber ich weiß es nicht; da ist einfach eine Lücke.« Er beugte sich über Estrella und rollte einige Strähnen ihrer langen schwarzen Haare um seine Finger. »Und woran denkst du?«
»An die Küste, dort weit hinten. Da soll es große Städte geben mit hohen Steinhäusern. Und die Mädchen tragen seidene Blusen und Röcke aus Samt, und über dem Kopf haben sie Schleier aus Spitzen. Es muß wunderbar sein, Fernando!« Sie legte die Arme unter den Kopf und schloß die Augen. »Aber ich werde nie dorthin kommen … es wird immer ein Traum bleiben.«
»Träumst du gern?«
»Ja, sehr gern.«
»Ich auch.« Fernando setzte sich neben Estrella. Er sah auf ihre atmende Brust und ihre braunen, kräftigen Schenkel. Ein Gefühl unsagbarer Geborgenheit und Zärtlichkeit überflutete ihn. Er beugte sich hinunter und legte sein Gesicht auf Estrellas nackte Schulter. Sie riecht nach Meer, dachte er glücklich. Und nach den Blüten in ihrem Garten. Und nach Jugend und Unschuld. »Auch ich werde diese Insel nicht mehr verlassen«, sagte er leise. »Ich bin so glücklich bei euch. Dr. Lopez ist wie ein Vater … und du … du …«
»Und ich, Fernando?« Estrellas Stimme war ganz klein geworden. Sie hielt sogar den Atem an, und ihre Finger kratzten im heißen weißen Sand.
»Ich liebe dich, Estrella.«
»Ich dich auch, Fernando.«
»Wir werden uns ein Haus bauen …«
»… und du wirst ein Boot bauen und aufs Meer fahren und mit den anderen fischen …«
»… und du wirst für mich kochen, und Kinder bekommen und immer zärtlich sein und … und …«
»… und wir werden einen Garten haben, Hühner und Esel, eine Kuh und ein paar Ziegen … und wir werden am Schiff unseren Räucherfisch verkaufen und die Ziegenkäse und uns dafür Stoffe holen und Decken und neues Handwerkszeug … es wird wunderbar sein, Fernando.«
»Wunderbar durch dich und mit dir.«
Dann küßten sie sich. Das Meer rauschte dazu. In den aufgespannten Netzen flüsterte der Wind.
Dr. Lopez saß vor seinem Haus und putzte seine alten, kaum gebrauchten chirurgischen Werkzeuge mit einer Chrompaste. Neben ihm stand die nicht wegzudenkende Kanne mit rotem Wein.
»Was gibt's?« fragte er, als Fernando und Estrella Arm in Arm vom Strand heraufkamen.
»Wir wollen heiraten, Don Lopez!« rief Estrella und küßte Fernando auf den Nacken. »Wir sind so glücklich.«
»Das ist ein guter Gedanke.« Dr. Lopez schrubbte eine breitschaufelige Geburtszange. »Meinen Segen habt ihr. Seit zwei Jahren ist auf der Insel kein Kind geboren worden. Das muß anders werden! Man kommt ja ganz aus der Übung.«
*
Fred Pommer kam nicht recht weiter. Die Ablehnung der Direktoren wurde zur offenen Feindschaft, ihr Widerstand eskalierte zu immer gefährlicheren Attacken. Er mußte sich etwas einfallen lassen. Da sich Margit Blankers nach wie vor weigerte, mit ihm zu sprechen, schlug Pommer einen anderen Weg ein.
Er suchte einen bekannten Rechtsanwalt auf und holte sich Rat.
»Es wäre zum Nutzen der Fabrik«, sagte er mit ernster, besorgter Miene, »daß der Tod von Herrn Blankers endlich amtlich festgestellt wird. Damit wieder klare Verhältnisse geschaffen werden können. Welche Möglichkeiten haben wir da?«
»Gar keine.« Dr. Mühlen hob die Schultern. »Erst wenn man die Leiche findet …«
»Und wenn man sie nie findet?«
»Dann kann man nur abwarten, bis die gesetzliche Frist bis zur Todeserklärung abläuft.«
»Aber das dauert ja Jahre!« Pommer sprang auf und ging erregt in dem vornehmen Büro hin und her. »Es muß doch einen Weg geben, das Todeserklärungsverfahren irgendwie zu beschleunigen. Wenn zum Beispiel eine Kommission an den Unglücksort fährt und sich dort davon überzeugt,
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