Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht der Versuchung

Nacht der Versuchung

Titel: Nacht der Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
verschloß, so daß in ein paar Monaten nur eine dünne weiße Narbe die Stelle anzeigte.
    Um 10 Uhr lag der kleine Kontusionsherd am Gyri occipit. lat. frei. Das Koagulationsgerät schnurrte leise, über die Mattscheibe des Herzoszillographen zuckten die Zackenreihen der Herzschläge.
    »Ich glaube, wir haben am richtigen Ende angefangen«, sagte Professor Mayfelder und hob unendlich vorsichtig die Schichten und Fäden des geronnenen Hirnblutes von den zarten Adern und Nervensträngen ab. »Es ist kein Fremdkörper im Hirn. Das Hämatom hat einfach auf das Zentrum gedrückt. Es ist eine Stauungsstörung, meine Herren. Wir – und der Patient – haben ein unverschämtes Glück gehabt.«
    Die Operation dauerte trotzdem noch vier Stunden, ehe man Klaus Blankers mit einem dick verbundenen Kopf und leichenblaß aus dem OP in sein Einzelzimmer fuhr. Dort nahm in die Schwester in Empfang, die mit zwei anderen Schwestern in drei Schichten drei Tage und drei Nächte lang an Blankers' Bett wachen mußte, um alle Erregungsimpulse, die sich beim Erwachen aus der Narkose einstellen konnten, sofort abzufangen.
    Margit hatte am Operationstag die ganzen langen Stunden über in einem Nebenraum gewartet, starr aus dem Fenster blickend, als sei sie kein lebender Mensch, sondern eine auf den Stuhl gesetzte Schaufensterpuppe. Baurat Bernhardt hingegen lief ruhelos hin und her, rauchte und ließ sich Rotwein bringen, sah immer wieder auf die Uhr und sagte verzweifelt: »So lange kann doch eine Schädeloperation nicht dauern. Man hat uns vergessen. Man hat uns bestimmt vergessen.«
    Erst am Abend erschien Professor Mayfelder, nachdem er noch einmal den zwar aus der Narkose erwachten, aber noch völlig benommenen Blankers untersucht hatte.
    Margit stürzte ihm entgegen, als er das Wartezimmer betrat, und klammerte sich an ihn. Jetzt war sie nicht mehr eine Ehefrau und die Mutter eines Kindes, jetzt war sie selbst noch das Kind, das Trost brauchte, ein gutes Wort und Hoffnung.
    »Er lebt!« stammelte sie. »Nicht wahr … er lebt …? Sie haben ihn gerettet! Sie haben Klaus nicht sterben lassen – «
    Professor Mayfelder legte beide Hände um den Kopf Margits. Über ihre zerwühlten Haare hinweg sah er auf Baurat Bernhardt, der bleich unter der Lampe stand und ihn stumm mit großen Augen anstarrte. In seinem Blick las Mayfelder die stumme Bitte: »Wenn er tot ist … bitte, bitte sagen Sie es jetzt nicht. Ich werde es ihr sagen … im Laufe der Nacht … Sie wird wahnsinnig, wenn Sie ihr es jetzt sagen …«
    Professor Mayfelder versuchte ein Lächeln. Er war müde. Mit dreiundsechzig Jahren ist eine stundenlange Operation am Gehirn, diese feinste Operation der Chirurgie, eine körperliche Tortur.
    »Wir haben alles getan, was wir konnten«, sagte er zu Margit und hielt noch immer ihren zitternden Kopf fest. »Wir haben die Ursache seiner Wesensveränderung gefunden und beseitigt. Vom Medizinischen her ist die Operation voll gelungen. Was nun folgt, das muß die Natur mit unserer Unterstützung allein tun. Aber ich habe berechtigte Hoffnungen, daß Ihr Mann in sechs oder acht Wochen wieder an Ihrem Arm an der Alster Spazierengehen kann.«
    »Ich danke Ihnen, Herr Professor«, stammelte Margit mit kaum hörbarer, erstickter Stimme. Dann verließen sie die Kräfte, sie knickte in den Knien ein und wurde von Mayfelder und ihrem Vater zum Stuhl zurückgeleitet.
    »Kann ich Klaus sehen?« fragte sie Minuten später. Baurat Bernhardt hatte ihr ein Fläschchen mit Kölnisch Wasser unter die Nase gehalten und mit wenigen Tropfen ihre Schläfen, die Stirn und den Nacken eingerieben. »Nur einen Blick, Herr Professor … bitte …«
    Mayfelder nickte. Wieviel Schädel habe ich in meinem Leben schon geöffnet, dachte er. Es mögen einige tausend sein. Und jedesmal ist es das gleiche: Mich ergreift immer wieder der Augenblick, in dem ich sagen darf: Es ist gelungen. Ich habe mich nie an den Gedanken gewöhnen können, daß Leben und Tod selbstverständlich seien. Vielleicht, weil ich sehe, wie winzig die Dinge sind, von denen Leben und Tod abhängen.
    Nur für einen Blick öffnete die wachhabende Schwester die Türe um einen Spalt, als Professor Mayfelder leise anklopfte.
    Blankers lag auf dem Rücken, im Nacken unterstützt durch ein Wasserkissen. Sein Kopf war dick verbunden, spitz stachen Nase und Kinn aus den Bandagen hervor, der Mund war schmal und blutleer. Aber er atmete tief und kräftig. Die Augen hielt er geschlossen, obwohl im Zimmer nur

Weitere Kostenlose Bücher