Nacht der Versuchung
nach dem Wegflug Fernandos, als Juan und die anderen Fischer auf dem Meer waren und ihre Netze nachschleppten, kreiste wieder ein Hubschrauber über Baleanès und landete am Sandstrand vor dem Hause von Dr. Lopez. Juan sah von weitem den Hubschrauber zur Insel fliegen, und er wußte, daß jetzt jemand Nachricht von Fernando brachte.
»Die Netze rein!« brüllte er. »Fahrt ab! Mit Volldampf! Zurück zur Insel! Verdammt noch mal, hört ihr nicht. Die Netze rein! Ich muß zurück!«
Aber das war unmöglich. Man kann einen Tagesfang nicht wegen eines einzelnen Mannes unterbrechen. Und so schleppte man weiter die Netze durchs Meer, und Juan stand an der Reling, hieb mit seiner Mütze auf die Eisenstangen und fluchte und tobte wie ein Irrer.
Zwei Polizisten stiegen unterdessen aus dem Hubschrauber, grüßten Dr. Lopez höflich durch Handanlegen an die Mützen, und sie wurden noch höflicher, als sie Estrella aus dem Haus treten sahen. Ihre wilde Schönheit begeisterte auch die Polizisten, aber da sie dienstlich sein mußten, glänzten nur ihre Augen, während ihre Worte nüchtern zu klingen hatten.
»Señorita Estrella?« fragten sie, als das Mädchen neben Dr. Lopez stand. Ihre Blicke blieben auf ihrem heftig atmenden Busen haften, und man sah, wie sehr der Anblick sie erfreute.
»Ja.« Estrella ballte die Fäuste vor Erregung. »Bringen Sie Nachricht von Fernando, Señores?«
»Wir haben den Befehl, Sie mit zum Festland zu nehmen. Bitte, packen Sie das Nötigste ein. Sie werden zwei oder drei Tage drüben bleiben müssen. Es sollen Protokolle aufgenommen werden. Können wir in einer Stunde abfliegen?«
»Ich werde Fernando wiedersehen?« Die Augen Estrellas glänzten wie schwarze Diamanten. Und da die Polizisten keine Antwort gaben, nahm sie das Schweigen als Zustimmung und breitete die Arme weit aus. »Fernando läßt mich holen, Don Lopez!« rief sie glücklich. »Er hat mich nicht vergessen! Aber ihr habt es alle geglaubt! Ihr habt ihn schlechtgemacht! Ich wußte, daß mich Fernando holt. Wir können gleich fliegen, sofort, Señores!«
Mit wirbelnden Beinen lief sie den Strand entlang zum Dorf, um ein Hemd, Seife, Schuhe und vor allem das Festtagskleid zu holen. Ihre langen schwarzen Haare wehten im Wind wie die Fahne eines Freibeuters.
Dr. Lopez wartete, bis sie außer Hörweite war, und wandte sich dann an die beiden Polizisten. Er ahnte die Wahrheit.
»Fernando ist nicht mehr bei euch?« fragte er, aber es klang mehr wie eine Feststellung.
»Er ist abgeholt worden, so berichtete man aus Barcelona. Seine Frau identifizierte ihn und nahm ihn mit. Nach Deutschland.«
»Aha. Nach Deutschland.« Dr. Lopez nickte. »Ich ahnte so etwas. Wer ist er denn?«
»Er soll Blankers heißen. Ein Fabrikant aus Hamburg. Ist mit einem Wagen die Klippen hinuntergestürzt ins Meer. Bei Blanes.« Die Polizisten kamen mit zur Terrasse des Doktorhauses und ließen sich einen Becher Rotwein einschenken. Wein gilt nicht als ›Alkohol im Dienst‹. Wein gehört zum Leben wie Atmen und Lieben.
»Jetzt soll das Mädchen aussagen, was dieser Blankers als Fernando hier getan hat«, sagte der eine der Polizisten. »Auch Sie wird man noch verhören, Dr. Lopez. Wir holen Sie nächste Woche aufs Festland.«
»Das wäre nach dreißig Jahren zum erstenmal wieder.« Dr. Lopez starrte in seinen Becher. »Es hat sich bestimmt vieles geändert, nicht wahr?«
»In dreißig Jahren? Eine Menge, Dr. Lopez.«
»Ich werde die Welt nicht wiedererkennen.«
Von weitem sahen sie Estrella heranlaufen. In der rechten Hand schwenkte sie ein Bündel. Sie hatte alles, was sie mitnehmen wollte, in eine Mantilla gewickelt und verschnürt.
»Sagen Sie ihr bitte nichts davon, daß seine Frau ihn abgeholt hat«, bat Dr. Lopez mit schwerer Zunge. »Sie wird es früh genug erfahren. Lassen Sie ihr bis zuletzt den Glauben, daß sie Fernando wiedersieht. Sie ist ein so gutes, glückliches Mädchen. Und laßt sie, wenn sie alles weiß, nicht aus den Augen. Liefert sie wieder hier ab. Versprecht mir das.«
Die Polizisten nickten, nahmen Estrella in ihre Mitte, und Minuten später hob sich der Hubschrauber wieder vom Strand ab und flatterte über das Meer, hinüber zur Küste, an den Fischerbooten von Baleanès vorbei, und auch an dem Boot, an dessen Reling Juan Cortez stand und fluchte, daß es ausreichte für hunderttausend Jahre Fegefeuer.
Drei Tage wartete man auf die Rückkehr Estrellas vom Festland. Am vierten Tag tobte Juan Cortez wieder, am fünften
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