Nacht der Versuchung
mit!”
Sogar Fleur schien seine ernste Stimmung zu spüren. Schweigend und mit großen Augen blickte die Kleine zu ihm auf, als er sie Mariella übergab. Mariella schickte einmal mehr ein Stoßgebet zum Himmel, dass Madame Cecille nichts passiert sei, als ein Diener ungewohnt förmlich die beiden Flügel des großen Eingangsportals öffnete und sie Xavier in die angenehme Kühle der Eingangshalle folgte.
Ohne sich nach ihr umzublicken, begab sich Xavier auf direktem Weg in das Vorzimmer, das in den großen Salon führte, den Xavier für geschäftliche Besprechungen nutzte. Wie stets flankierten zwei Diener in Livree die Eingangstür. Mariella, die erwartet hatte, dass Xavier den Salon vor ihr betreten würde, stieß fast mit ihm zusammen, als er unerwartet vor ihr stehen blieb. Er drehte sich zu ihr um, und sie sah verwirrt, dass er die Hand nach ihr ausstreckte und sie an seine Seite bat.
Sie drückte Fleur ein wenig fester an sich und folgte zögernd seiner Aufforderung. Ihr Herz pochte schneller, als sie so nahe neben Xavier stand, dass sie seine Wärme spüren konnte. Xavier nickte den beiden Dienern zu, und die stießen die beiden Türflügel auf.
Obwohl Mariella auf Madame Flavels Drängen hin bereits schon früher einen Blick in den großen Salon geworfen hatte, war sie im ersten Moment richtig geblendet von seiner orientalischen Pracht. Die Wände ringsum waren in reichen Farben mit schwerer golddurchwirkter Seide dekoriert, den kühlen Marmorboden zierten kostbare Teppiche. Riesige Kristalllüster, die noch nach Entwürfen von Xaviers Großmutter gefertigt worden waren, verbreiteten ihr funkelndes Licht. Es war ein Raum, der den üppigen Luxus eines Märchens aus Tausendundeiner Nacht mit der Eleganz eines französischen Salons verband … ein Raum, der ganz bewusst gestaltet war, alle, die ihn betraten, zu beeindrucken und ihnen die Macht des Hausherrn zu demonstrieren.
Erst auf den zweiten Blick bemerkte Mariella die beiden Gestalten, die eng nebeneinander vor dem großen offenen Kamin standen und Xavier unübersehbar besorgt entgegenblickten.
Ungläubig sah Mariella die beiden an. “Tanya!”, flüsterte sie erschrocken.
Ihre Schwester war sonnengebräunt und exklusiv gestylt. Top und Rock waren augenscheinlich Designerqualität und betonten bewusst ihre atemberaubende Figur. Auch die Frisur war neu und hatte zweifellos ein kleines Vermögen gekostet – eine kunstvoll zerzauste Mähne, durch verschiedenfarbige blonde Strähnen aufgepeppt. Selbstverständlich war sie perfekt geschminkt und makellos manikürt bis hinunter zu den Füßen, die in zierlichen hochhackigen Sandaletten steckten.
Doch nach einem kurzen Blick wandte Mariella ihre Aufmerksamkeit dem Mann an Tanyas Seite zu. Er war kleiner und untersetzter als Xavier, dennoch war die Familienähnlichkeit unverkennbar. Das musste Khalid sein, Xaviers jüngerer Cousin und Fleurs Vater.
“Khalid.” Xavier nickte seinem Cousin kurz zu, bevor er sich Tanya zuwandte. “Und ich nehme an, dies ist …”
“Meine Frau”, fiel Khalid ihm rasch ins Wort, wobei er fest Tanyas Hand drückte. “Tanya und ich haben vor drei Tagen geheiratet.”
“Wirklich, Mariella, ich konnte es gar nicht glauben, als wir in Kingston festmachten und Khalid an Bord kam. Zuerst wollte ich nicht einmal mit ihm reden, aber er hat nicht locker gelassen, und schließlich …”
Es war noch keine vierundzwanzig Stunden her, dass Mariella so überraschend erfahren hatte, dass ihre Schwester jetzt mit Khalids Cousin verheiratet war. Tanya und sie saßen im Garten des Frauenbereichs der Villa, und Fleur strampelte zufrieden in ihrem Babysitz.
“Warum hast du mir denn nicht erzählt, was los ist, als ich dich angerufen habe?”, fragte Mariella ein wenig vorwurfsvoll.
Tanya wich ihrem Blick ein wenig schuldbewusst aus. “Na ja, zuerst war ich mir ja selber nicht sicher, was los war. Schön, Khalid war mir nachgereist und war sehr lieb, versicherte mir, dass er mich liebe, und bat mich um Verzeihung, aber … Und dann hast du auf meiner Mailbox die Nachricht hinterlassen, du seist hier bei Xavier. Da hatte ich einfach Angst, du könntest ihm gegenüber etwas verraten und er würde dann Mittel und Wege finden, Khalid und mich wieder zu trennen.”
“Hast du eigentlich eine Ahnung, welche Sorgen ich mir gemacht habe?”, fragte Mariella.
Tanya errötete betreten. “Ich … habe einfach gehofft, du würdest die Tatsache, dass ich mich nicht melde, darauf schieben,
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